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Frühling lässt sein schwarzes Band

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am30.03.2023Auflage
Karfreitag in Perpignan. Siebenhundert »Büßer« defilieren wie jedes Jahr seit dem 15. Jahrhundert in ihren traditionellen Gewändern durch die Gassen. Plötzlich bricht Panik aus. Als wieder Ruhe einkehrt, liegt einer der Gläubigen blutüberströmt am Boden. Er wurde offenbar erdolcht. Gleichzeitig wurde ein Juweliergeschäft ausgeraubt. Hängen die beiden Fälle zusammen? Lieutenant Sebag, der eigentlich mit seinem pubertierenden Sohn kämpft, ermittelt in den mediterranen Gassen der Stadt und stößt dabei auf die verschwiegene Seite einer französischen Legende. 

Philippe Georget wurde 1963 geboren. Nach mehreren Jahren als Journalist für Rundfunk und Fernsehen hat er 2001 seine Familie in einen Campingbus gepackt, um einmal mit ihr das Mittelmeer zu umrunden. Seit seiner Rückkehr lebt er als Autor mit Frau und Kindern in der Nähe von Perpignan und läuft leidenschaftlich gern Marathon. Für seine Krimis hat er in Frankreich mehrere Preise gewonnen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextKarfreitag in Perpignan. Siebenhundert »Büßer« defilieren wie jedes Jahr seit dem 15. Jahrhundert in ihren traditionellen Gewändern durch die Gassen. Plötzlich bricht Panik aus. Als wieder Ruhe einkehrt, liegt einer der Gläubigen blutüberströmt am Boden. Er wurde offenbar erdolcht. Gleichzeitig wurde ein Juweliergeschäft ausgeraubt. Hängen die beiden Fälle zusammen? Lieutenant Sebag, der eigentlich mit seinem pubertierenden Sohn kämpft, ermittelt in den mediterranen Gassen der Stadt und stößt dabei auf die verschwiegene Seite einer französischen Legende. 

Philippe Georget wurde 1963 geboren. Nach mehreren Jahren als Journalist für Rundfunk und Fernsehen hat er 2001 seine Familie in einen Campingbus gepackt, um einmal mit ihr das Mittelmeer zu umrunden. Seit seiner Rückkehr lebt er als Autor mit Frau und Kindern in der Nähe von Perpignan und läuft leidenschaftlich gern Marathon. Für seine Krimis hat er in Frankreich mehrere Preise gewonnen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843729352
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum30.03.2023
AuflageAuflage
Reihen-Nr.4
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3309 Kbytes
Artikel-Nr.9998661
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Der Mann an der Spitze trug eine lange rote Kutte. Auf seinem Kopf saß eine caparutxa, eine hohe, spitz zulaufende Kapuzenmaske, die sein Gesicht verdeckte. Zwei in den Stoff geschnittene Löcher ließen dunkle Augen mit einem aufmerksamen Blick erkennen.

Der regidor läutete die Eisenglocke, die er mit ausgestrecktem Arm hielt. Vier beunruhigende Glockenschläge. Mit schwarzem Chiffon verschleierte Trommler gaben die Antwort. Vier düstere Trommelwirbel.

Die Prozession der Sanch stellte sich auf, siebenhundert Personen nahmen ihre Plätze ein. Hinter der Gruppe der Trommler näherte sich ein barfuß gehender Büßer. Auf einen Gurt, den er um die Hüfte trug, hatte er ein drei Meter hohes Kreuz gestützt. Schwer. Eindrucksvoll. Das Creu dels Improperis symbolisierte die von Christus während der Passion erduldeten Kränkungen. Am Holz des Kreuzes waren Nägel, eine Lanze, ein Hammer und weiteres Gerät befestigt, insgesamt dreizehn Leidenswerkzeuge. Hinter dem Kreuz folgte das erste misteri. Deren würde es um die dreißig geben. Sie wurden auf den Schultern der Büßer getragen und stellten die Szenen des Kreuzwegs nach. Das älteste misteri stammte noch aus dem 17. Jahrhundert. Das schwerste wog zweihundertfünfzig Kilo und musste von zwölf Männern getragen werden.

Alle Männer waren maskiert, sie steckten unter der traditionellen caparutxa, die im Gegensatz zur Kutte des regidor bei ihnen tiefschwarz glänzte. Ursprünglich hatte das Wort caparutxa nur die Kapuze selbst bezeichnet, doch inzwischen umfasste der Begriff das gesamte Gewand der Büßer: eine lange Kutte aus Sackleinen, die bis zu den Füßen reichte. Die einzige Verzierung dieser strengen Kleidung war eine Kordel, deren Farbe die Kirchengemeinde kennzeichnete, zu der der Träger gehörte. In der Prozession waren nur die Gesichter der Frauen unverhüllt. Mit ihrem geraden und strengen Rock, der schwarzen Weste und einer Mantille, die das Haar bedeckte, trugen sie Trauer um Jesus.

La Sanch, das kostbare Blut des Herrn. Die Lautsprecher knackten, und in der Menschenmenge, die sich um die Église Saint-Jacques drängte, trat Stille ein. In einer kurzen Predigt ehrte der Bischof von Perpignan die jüngst gestorbenen Attentatsopfer und versicherte, jedes Mal, wenn er den »gequälten und leidenden Christus am Kreuz« sehe, träten ihm ihre Märtyrergesichter vor Augen. Anschließend dankte er mit einigen Worten den Ordnungskräften, die die Zeremonie absicherten. Das Publikum applaudierte.

»Na, da können wir aber stolz sein«, murmelte Jacques Molina, Lieutenant der Polizei, seinem Kollegen ins Ohr. Als wenn sie nichts anderes zu tun hätten.

Angesichts der Gefahr durch Terroristen verschlang der Schutz der Osterprozession jedes Jahr mehr Mittel. Abgestellt waren etwa fünfzig städtische Polizisten, verstärkt durch rund dreißig Mitarbeiter des Commissariats von Perpignan, eine Einheit von Soldaten der Opération Sentinelle sowie einige Agenten des Inlandsgeheimdienstes, die sich in Zivil unter die Menge gemischt hatten.

»Mecker nicht. Immerhin ist das Wetter schön.«

Lieutenant Gilles Sebag zog die Armbinde mit der Aufschrift Polizei zurecht, die an seiner Jacke befestigt war. Er freute sich eher, dass er dabei sein konnte. Geboren war er vor zweiundvierzig Jahren in einer Vorstadt von Paris und erst vor gut zehn Jahren in die katalanische Region gezogen. Mit stets wieder neuem Staunen verfolgte er jeden Karfreitag die Prozession der Sanch. Selbst wenn sie heute mehr Touristen und Neugierige anzog als Gläubige, verbreitete diese mehr als sechshundert Jahre alte Tradition in den Straßen Perpignans einen Hauch von Spiritualität, den er exotisch fand. Diese in Frankreich einzigartige Prozession war nur mit der im spanischen Sevilla vergleichbar.

Kreischendes Kinderlachen störte die letzten Worte des Bischofs. Ohne die finsteren Blicke zu beachten, die die Gläubigen ihnen zuwarfen, spielten die kleinen Gitans Fangen.

»Geht, amüsiert euch woanders«, forderte Molina sie auf.

»Peng«, erwiderte ein Kleiner von höchstens sechs Jahren und legte einen Finger auf das Schnellfeuergewehr des Polizisten.

Glücklicherweise zogen ein paar ältere Kinder den Frechdachs mit sich, weg von dem schon leicht erzürnten Molina. Sie vergnügten sich in der Menge wie ein Schwarm Spatzen.

Nach seiner Predigt stimmte der Bischof ein Gebet an. Notre-Dame des douleurs. In der Menge bekreuzigten sich einige. Anschließend ertönten im Glockenturm der Kirche drei Glockenschläge. Erneut klingelte die Eisenglocke des regidor, gefolgt von den Trommelwirbeln. Als dann ein düsterer Gesang aus den Lautsprechern ertönte, schritt der regidor gemessen voran. Hinter ihm setzte sich der Zug in Bewegung.

»Zurücktreten, bitte, zurücktreten.«

Zwei Polizisten der Antikriminalitätsbrigade hielten die Horde der Fotografen auf Abstand. Die Menge war dicht gedrängt, die Straße eng und die Vorschriften waren streng. Drei Meter mindestens.

Nach dem ersten Abbiegen ergoss sich der Zug auf die Place du Puig im Herzen des ärmlichsten von Perpignans Stadtvierteln. Im Umkreis dieses Platzes lebten beinahe fünftausend Gitans in einem Gewirr abbruchreifer oder sogar gesundheitsgefährdender Gebäude. Die vor Jahrhunderten in der katalanischen Region sesshaft gewordene Gemeinschaft hatte dieses Viertel im alten Stadtzentrum ab den Fünfzigerjahren besiedelt, da die ursprünglichen Bewohner sich anderswo modernere und geräumigere Wohnungen gesucht hatten.

Die Gitans, die zum größten Teil evangelikal waren, verfolgten die Prozession mit geradezu genüsslichem Interesse. Einige Alte hatten ihre Klappstühle auf die Straße gestellt und sich wie zu einem Schauspiel hingesetzt. Es war noch gar nicht so lange her, da wurden auch schon mal Eier auf den Zug geworfen. Eine Art Rache der Unterprivilegierten, da die bessere Gesellschaft Nordkataloniens reumütig unter ihren Fenstern vorbeidefilierte.

Im Quartier Saint-Jacques ging es noch einige Male um die Ecke, bevor sich die Prozession in die Rue Rabelais schob und die sanfte Steigung zum Stadtzentrum hinaufmarschierte.

Durch seine caparutxa vor den neugierigen Blicken der Menge geschützt, schritt er mit nackten Füßen über den Asphalt. Trotz seiner Erschöpfung hatte er dieses Jahr im Büßen noch einmal Trost gefunden. Gott verwehrte ihm diese flüchtige Ruhepause nicht.

In seiner Kindheit hatte Christian jeden Karfreitag an der Sanch teilgenommen, sich ihr aber dann als Jugendlicher entzogen. Erst spät war er zurückgekehrt. Und nach den vorgeschriebenen fünf Probejahren war er in den Schoß der Erzbruderschaft aufgenommen worden.

Doch Gott las in seiner Seele. Und trotz seiner Güte hatte er beschlossen, ihn zu bestrafen.

Ganz kurz schloss Christian die Augen. Die goigs schallten durch die Straße. Welcher Segen waren doch die katalanischen Gesänge!

Bei einer holprigen Stelle des rauen Asphalts zog er eine Grimasse, doch das konnte zum Glück keiner sehen. Die Buße war für ihn kein leeres Wort.

Gestern hatte er sich die Fußsohlen verbrannt, damit seine Haut empfindlicher wurde. Der Schmerz verband ihn direkt mit Gott. Ein Rausch, eine Ekstase. Früher hatte er sich gern mit kleinen Schnitten einer Rasierklinge verletzt, doch die zu leicht sichtbaren Wunden waren aufgefallen. Die Führung der Erzbruderschaft hatte damit gedroht, ihn auszuschließen. Heutzutage sprang man mit einem zu innigen Glaubenseifer streng um ... Der war schlecht fürs Image. Sowohl in den Augen der Touristen als auch der Kirche.

Durch die Löcher in seiner caparutxa glitten seine Augen über die Menschenmenge. Erstaunte oder sogar spöttische Blicke, gezückte Fotoapparate und Handys. Die Fotos der Prozession erschienen sehr bald in den sozialen Netzwerken. Er stellte sich die Kommentare vor. Manche würden es niemals begreifen und erkannten in dieser katalanischen Tradition keinen Ausdruck des Glaubens, sondern nur Folklore. Andere stießen sich am Gewand, das sie an den Ku-Klux-Klan erinnerte.

Doch damit hatte die Sanch nicht das Geringste zu tun.

Eine der ursprünglichen Aufgaben der 1416 gegründeten Erzbruderschaft hatte darin bestanden, die zum Tode Verurteilten zum Galgen zu begleiten. Die von allen getragene Kapuzenmaske sollte verhindern, dass die Menge die Gefangenen lynchte. Nach der Hinrichtung sorgte die Bruderschaft für ein christliches Begräbnis der Bestraften.

Nein, die Sanch hatte wirklich nichts mit den grässlichen Übergriffen der amerikanischen Rassisten zu tun.

Er wendete den Kopf. Nach rechts. Nach links. Seine büßenden Mitbrüder gingen heiteren und vertrauensvollen Schrittes, ohne zu begreifen, dass sie seit dem Tag ihrer Geburt zum Tod verurteilt waren. Leben hieß schließlich nichts anderes, als sich zu bemühen, Tag für Tag und Minute für Minute den unentrinnbaren Verfall zu vergessen. Ein Herzanfall oder ein Krebsleiden, ein Autounfall, ein Mord ... Früher oder später würde der Tod bei ihnen allen anklopfen. Welche...
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Autor

Philippe Georget wurde 1963 geboren. Nach mehreren Jahren als Journalist für Rundfunk und Fernsehen hat er 2001 seine Familie in einen Campingbus gepackt, um einmal mit ihr das Mittelmeer zu umrunden. Seit seiner Rückkehr lebt er als Autor mit Frau und Kindern in der Nähe von Perpignan und läuft leidenschaftlich gern Marathon. Für seine Krimis hat er in Frankreich mehrere Preise gewonnen.