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Die Wanderbühne

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
496 Seiten
Deutsch
Folio Verlagerschienen am14.03.20231. Auflage
Eine ganz persönliche Familiengeschichte, bevölkert von Helden, Drückebergern und Lebenskünstlern in Zeiten von Krieg und Liebe. Die Urgroßmutter brennt mit einem fahrenden Schauspieler durch. Ein Großvater flieht vor der Oktoberrevolution von St. Petersburg nach Paris, der andere gerät als österreichisch-ungarischer Soldat in russische Gefangenschaft. Die 'halbjüdische' Mutter überlebt dank eines katholischen Gebetbuchs in der Tasche den Zweiten Weltkrieg. Feri? lässt schillernde Charaktere die Bühne des Weltgeschehens im 20. Jahrhundert betreten, von Russland über Frankreich nach Ägypten und Kroatien. Den Schrecken, das Leid verflicht er mit berührenden Liebesgeschichten und eigenen pubertären Wirrungen. Ironisch und ergreifend, mit markanten Episoden und irrwitzigen Dialogen, ein Ereignis von europäischer Dimension. 'Wenn ich schreibe, wünsche ich mir eine Geschichte, leicht wie eine Ballerina, die aber unsichtbare, schwere Gewichte an den Füßen hat.' (Zoran Feri?) 'Der beste lebende kroatische Schriftsteller.' Deutschlandradio

Zoran Feri?, geboren 1961 in Zagreb, interessiert das Puzzle, nicht das fertige Bild, das Rätsel, nicht die Losung. Ruhrendes und Brutales beobachtet er mit unbeirrbarem Witz. Neben Romanen und Kurzgeschichten schreibt er Kolumnen und unterrichtet am Gymnasium. Er ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Kroatiens.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR27,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine ganz persönliche Familiengeschichte, bevölkert von Helden, Drückebergern und Lebenskünstlern in Zeiten von Krieg und Liebe. Die Urgroßmutter brennt mit einem fahrenden Schauspieler durch. Ein Großvater flieht vor der Oktoberrevolution von St. Petersburg nach Paris, der andere gerät als österreichisch-ungarischer Soldat in russische Gefangenschaft. Die 'halbjüdische' Mutter überlebt dank eines katholischen Gebetbuchs in der Tasche den Zweiten Weltkrieg. Feri? lässt schillernde Charaktere die Bühne des Weltgeschehens im 20. Jahrhundert betreten, von Russland über Frankreich nach Ägypten und Kroatien. Den Schrecken, das Leid verflicht er mit berührenden Liebesgeschichten und eigenen pubertären Wirrungen. Ironisch und ergreifend, mit markanten Episoden und irrwitzigen Dialogen, ein Ereignis von europäischer Dimension. 'Wenn ich schreibe, wünsche ich mir eine Geschichte, leicht wie eine Ballerina, die aber unsichtbare, schwere Gewichte an den Füßen hat.' (Zoran Feri?) 'Der beste lebende kroatische Schriftsteller.' Deutschlandradio

Zoran Feri?, geboren 1961 in Zagreb, interessiert das Puzzle, nicht das fertige Bild, das Rätsel, nicht die Losung. Ruhrendes und Brutales beobachtet er mit unbeirrbarem Witz. Neben Romanen und Kurzgeschichten schreibt er Kolumnen und unterrichtet am Gymnasium. Er ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Kroatiens.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990371442
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1393 Kbytes
Artikel-Nr.11217615
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Die Schatten
Das Haus auf der salata
Die Wanderbühne
Zeit der Gräber
Die Balalaika
Das Wunder von Mailand
Zeit, die man hört
Ay, Carmela
Ein Tod, für den er gelebt hat

Anmerkungen
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Leseprobe

Prolog

Stellst du dich in den Schatten eines Gehenkten, bringt das Glück! , sagte jemand, als wir in die Siebente der Grundschule gingen und im Geschichtsbuch zum ersten Mal das Foto eines Gehenkten auf den Terazije sahen. Den Schatten des Gehenkten sieht man auf diesem Foto nicht, und doch drängt sich unter ihm die Menge. Haben alle die Menschen versucht, sich in seinen Schatten zu stellen? Das dachten wir damals. Heute ist klar, dass man sie unter Zwang hergeführt hatte, damit sie dem Henken zusehen, und dass es der Gehenkten mehrere waren. Eine zivilisierte Nation aus dem Herzen Europas hatte, anscheinend zur Freude vieler, die Institution der öffentlichen Hinrichtung wiederbelebt. Der Betreffende auf dem Foto aus dem Lesebuch hängt völlig ruhig, im Anzug, mit Schirmmütze und Krawatte, als hätte er sich für das Gehenktwerden eigens zurechtgemacht.

Sehr merkwürdig auf dem Foto aber ist, dass ihm die Schirmmütze nicht vom Kopf fällt, der schief steht, weil sein Hals gebrochen ist. Alles ist voll mit diesen schiefen Ebenen: Auf dem schief stehenden Kopf sitzt die schiefe Schirmmütze, und auch der Gehenkte, so scheint es, hängt nicht ganz gerade. Der Mensch ist wie ein Senkblei, dachte ich damals, auch wenn er gerade hängt, folgt er aus einem bestimmten Grund immer der Krümmung der Erdachse. So ist es auch kein Wunder, dass auf diesem Planeten alles gekrümmt und alles ein wenig schief ist.

Der Gehenkte heißt Milin Svetislav, er ist Schuhmacher und aufgeknüpft wurde er am 17. August 1941, zusammen mit vier weiteren Angehörigen der Widerstandsbewegung: Ratko Jevtic, Milorad Pokrajc, Velimir Jovanovic und Jovan Jankovic. Und die, die unter Milin stehen und auf seine Strümpfe sehen oder auf die Schuhsohlen glotzen, vielleicht sind sie auch unwissend in seinen Schatten getreten. Später werden wir dieses Foto viele Male sehen, in Enzyklopädien, in Ausstellungen, in Büchern, die über die Widerstandsbewegung in Belgrad 1941 sprechen. Menschen, die an Straßenlaternen hängen, sollten vielleicht einen Schock auslösen, aber wenn man das Bild ein wenig erweitert, wenn man aus dem historischen Lesebuch heraustritt, wird man sehen, dass auf den Terazije elektrische Straßenbahnen fahren, dass Menschen spazieren gehen und Bars aufsuchen, um Foxtrott zu hören, und manche sitzen sogar in den Kaffeehäusern unweit der Gehenkten, trinken Kaffee und plaudern:

- Ein schöner Tag, Herr Nachbar!

Und der Nachbar wischt sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Nacken.

- Von wegen schön, du siehst doch, was für eine Schwüle.

Als wir das Foto des gehenkten Milin zum ersten Mal sahen, konnten wir nicht ahnen, dass er, zusammen mit seinen Kameraden, den Mitgehenkten, am Sitz der Gestapo in der König-Alexander-Straße Nr. 5 zuerst erschossen wurde und dass man die Toten erst später an die Straßenlaternen gehängt hat. Milin war damals sechsundzwanzig Jahre alt.

Von manchen Menschen sagt man, dass sie mehrere Leben haben, wie die Katzen. Das sind die, die sich aus unmöglichen Situationen herauswinden und irgendwie überleben. Weniger Erwähnung finden allerdings jene, die mehrere Tode haben. Milin und Genossen gehören zu denen, die der Tod mehrere Male heimgesucht hat. Erst erschossen, dann aufgehängt. Und hätte jemand von ihnen durch einen Zufall das Erschießen überlebt, und solche gibt es in jedem Krieg, und gerade sie sind die zuverlässigsten Zeugen, hätte er das Hängen nicht überlebt. Der Tod ist zweimal nach Belgrad gekommen, um Svetislav und die Genossen zu holen, obwohl das für ihn vielleicht ein überflüssiges Unternehmen war, weil er das, nach allem zu urteilen, bereits im Gefängnishof getan hat.

Aber was ist mit dem Anzug, dem Hemd und der Krawatte? Die historischen Quellen sagen, dass alle fünf am Sitz der Gestapo gefoltert worden waren und man erst dann auf sie geschossen hat. Aber auf den Fotografien, obwohl sie ein wenig trübe und körnig sind, sieht man kein blutiges Hemd, keine Spuren von Tortur. Milin sieht tatsächlich so aus, als hätte er sich zur Hochzeit gekleidet und dann den Weg verfehlt und wäre irrtümlicherweise an den Mast auf den Terazije gelangt. Soweit man sehen kann, sind auch die anderen anständig gekleidet. Hat man sie in denselben Anzügen aufgehängt, in denen man sie gefoltert und erschossen hat? Vermutlich nicht. Es kann nicht das Interesse des Chefs der Belgrader Gestapo Karl Kraus und des Militärbefehlshabers für Serbien Heinrich Danckelmann gewesen sein, auf der Belgrader Hauptavenue irgendwelche Klumpen zerfetzten Fleisches aufzuhängen, sondern Menschen. Mit eigener Würde, mit Menschlichkeit, die ihnen vor dem Aufhängen posthum zurückgegeben worden war, um sie ihnen dann mit dem Hängen erneut öffentlich zu nehmen. Aber wer hat sie dann gewaschen und angezogen? Hat man dazu einen Bestatter engagiert? Und wer hat den Anzug gebracht? Die einfachste Lösung war wohl, die Eltern und Verwandten aufzufordern, ihnen festliche Kleidung zu bringen und sie an Ort und Stelle anzukleiden. Man kann sich leicht die verweinte Mutter von Milin Svetislav vorstellen, wie sie in Schwarz, zusammen mit noch zwei Frauen, seinen nackten zerfleischten Körper wäscht. Sie küsst ihn auf die Stirn, küsst seine leblosen mageren Hände, die aussehen wie die Hände eines Knaben und nicht wie die eines Mannes, der mit den Händen arbeitet, und dann richten ihn die zwei Frauen auf in eine sitzende Position, und sie streift ihm liebevoll erst den einen, dann den anderen Ärmel des sauberen weißen Hemdes über. Dann heben sie sein Unterteil an und ziehen ihm Unterhose und Hose an, seine Mutter bindet ihm die Krawatte, zieht ihm das Sakko an und schnürt ihm die Schuhe, deren abgewetzte Sohlen die Bürger Belgrads in einem der tragischsten Augenblicke ihrer Geschichte sehen werden. Und jemand von ihnen wird vielleicht sagen: Der Schuster hat immer die schlechtesten Schuhe.

Andererseits sieht man auf den schönsten Fotografien von Toso Dabac aus den Vierzigerjahren, wie wichtig Schatten für die Schwarz-Weiß-Fotografie sind und wie sich die Welt auf dem Fotopapier plötzlich in ein Spiel heller und dunkler Flecken verwandelt. Meine Vorstellung von Zagreb zur Zeit des Zweiten Weltkriegs geht immer von diesen Fotografien aus. Im Unterschied zu den Gehenkten von den Terazije haben die Menschen bei Toso Dabac keine Namen. Es sind Passanten, die sich in der Ilica oder auf dem Ban-Jelacic-Platz oder auf dem Dolac eingefunden haben und bei denen noch etwas gut ist: Du kannst dir vorstellen, dass sie noch lebendig sind. Aber die Mehrzahl von ihnen hat auch einen Schatten; zu Mittag einen kurzen und gestauchten, am späten Nachmittag einen länglichen und verformten, der nicht mehr an seinen Besitzer erinnert. Und dieser Schatten, dieses dunklere Alter Ego, pflanzt sie in die Fotografie hinein wie eine Art Fundament oder eine Wurzel, die sie mit der Erde verbindet. Helle Abbilder an der Sonne und dunkle Schatten, die ihnen auf den Fotos nachkriechen. Und diese Schatten winken uns von den Gehsteigen oder Hauswänden zu: Es scheint zwar die Sonne, und es ist ruhig in der Stadt, es herrscht eine Art Ruhe, aber die Schatten sagen, wir sind hier, Freund, und wir schreiben das Jahr neunzehnhunderteinundvierzig ...

Deshalb sind die Schatten wichtig, wenn Mutter, die jetzt zwölf Jahre alt ist, in die Schule in der Savska geht, in das Gebäude der heutigen Fakultät für Lehrerbildung, gegenüber dem Gefängnis. Ich sehe sie immer in Schwarz-Weiß, mit diesen Schatten. Mager, in dem hellen Trenchcoat, die Bücher unterm Arm. So geht sie durch den leeren Flur, in dem die Sonne auf dem Boden unregelmäßige helle Flecken macht und Mutters Schatten beim Gehen verlängert. Das ist der schmale Schatten eines Spinnenbein genannten Mädchens. Ihre Magerkeit hat sich rasch in diesen spöttischen Spitznamen verwandelt. Passend zu der dünnen mit Honig bestrichenen Scheibe Brot, die sie jeden Tag zur Jause mit in die Schule nimmt.

Ihr Leben nimmt allmählich Realität an, als es den Chirurgen aus Petrograd, den russischen Emigranten in Frankreich, aus einem unerfindlichen Grund von Paris nach Zagreb verschlägt, wo er einer Krankenschwester aus einer Imkerfamilie, in der die Tuberkulose grassiert, ein Kind macht. Aber damit ihr Leben wirklich Realität annimmt, muss zuerst eine Reihe von Missverständnissen ausgeräumt werden, die die Beziehung zwischen Oma Ivka und dem erwähnten Chirurgen begleiten, der in den jugoslawischen Dokumenten mancherorts als Benjamin und anderswo als Venjamin geführt wird, während in seinem vom Königreich SHS ausgestellten Ausweis der Ärztekammer und in Mutters Trauschein Venijan steht.

Und so wenig sein Name weder fest noch eindeutig ist, sondern einer östlichen und einer westlichen Variante unterworfen, Benjamin oder Venjamin, in der Regie schlechter Daktylografen, die in den Dokumenten unverzeihliche Fehler begehen und dann diese Fehler jahrelang hartnäckig weitertragen, so wenig ist auch sein Nachname eindeutig. Der erscheint in den Dokumenten in zwei Varianten: In...
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Autor

Zoran Feric, geboren 1961 in Zagreb, interessiert das Puzzle, nicht das fertige Bild, das Rätsel, nicht die Losung. Ruhrendes und Brutales beobachtet er mit unbeirrbarem Witz. Neben Romanen und Kurzgeschichten schreibt er Kolumnen und unterrichtet am Gymnasium. Er ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Kroatiens.