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Zeit zu sterben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am13.06.2023
Maria Kallio, bereits erfolgreiche Anwältin und Ermittlerin, wird in einen Fall verwickelt, der mysteriöser nicht sein könnte: Säde, eine junge Therapeutin, die misshandelte Frauen im Frauenhaus betreut, fasst den Entschluss, zukünftig entschiedener und tatkräftiger den Frauen zu helfen. Sie will nicht mehr nett sein und die alltägliche Gewalt stillschweigend hinnehmen. Säde beginnt eine mörderische Therapie, die schnelle Erfolge zeitigt. Doch die Zeit rinnt ihr unaufhaltsam durch die Hände - und irgendwann ist es für jeden Zeit, zu sterben. Spannend und lebensnah; hier ist eine neue Stimme aus Finnland zu entdecken.

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextMaria Kallio, bereits erfolgreiche Anwältin und Ermittlerin, wird in einen Fall verwickelt, der mysteriöser nicht sein könnte: Säde, eine junge Therapeutin, die misshandelte Frauen im Frauenhaus betreut, fasst den Entschluss, zukünftig entschiedener und tatkräftiger den Frauen zu helfen. Sie will nicht mehr nett sein und die alltägliche Gewalt stillschweigend hinnehmen. Säde beginnt eine mörderische Therapie, die schnelle Erfolge zeitigt. Doch die Zeit rinnt ihr unaufhaltsam durch die Hände - und irgendwann ist es für jeden Zeit, zu sterben. Spannend und lebensnah; hier ist eine neue Stimme aus Finnland zu entdecken.

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644019249
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.06.2023
Reihen-Nr.11
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7105 Kbytes
Artikel-Nr.11807150
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Eins

Das Ferkel hatte nur noch einen Flügel. Von der Ablage hinter der Theke starrte es traurig an mir vorbei. Ich versuchte seinen Blick zu erwischen, um ihm zu sagen, dass ich mich genauso fühlte.

Irja Ahola war tot. Ihr Mann hatte ihr den Schädel eingeschlagen, mit einem Schürhaken.

Ich war wütend und traurig, aber nicht überrascht. Irja hätte sich vor fünf Jahren scheiden lassen sollen, als er sie zum ersten Mal schwer misshandelt hatte. Sie hätte aus der Hauptstadtregion wegziehen und ihren Namen ändern können. Aber Irja wollte nicht gehen. Sie meinte, sie müsse an ihre Kinder und Enkel denken. Wir Mitarbeiter im Frauenhaus Schutzhafen hatten sie in ihrer Entscheidung unterstützt. Wir glaubten den Schläger therapieren zu können, und fanden es wichtig, die Familie zusammenzuhalten. Irja hatte vor fünf Jahren keine Anzeige erstattet und erlaubte uns auch später nicht, die Polizei zu verständigen, wenn sie sich mit blauen Flecken und gebrochenen Rippen ins Frauenhaus geflüchtet hatte.

Und jetzt war Irja tot.

Ich holte mir an der Theke noch einen Cidre, obwohl mir schon der erste in die Beine gegangen war. Am Nachmittag hatte mich Hauptkommissarin Maria Kallio angerufen und gefragt, was ich über die ständige Gewalt in der Familie Ahola wüsste. Einmal hatte Irja Ahola gegenüber ihrer ältesten Tochter zugegeben, dass die blauen Flecke am Kinn nicht von einem Sturz mit dem Fahrrad stammten, sondern von ihrem Vater. Erst als sie nach dem Totschlag von der Polizei vernommen wurde, war der Tochter aufgegangen, dass die ständigen Verletzungen ihrer Mutter nicht von Zusammenstößen mit Möbelstücken herrührten.

Kallio hatte mich für halb drei auf das Präsidium bestellt. Ich kannte sie, wir hatten dienstlich miteinander zu tun gehabt, und einmal hatten wir auf einem Seminar beide einen Vortrag gehalten. Seitdem duzten wir uns. Dieses Seminar über vorbeugende Maßnahmen gegen Gewalt in der Familie war die schrecklichste Veranstaltung in meinem ganzen Leben gewesen. Trotz Mikrophon hatte man mich in dem kleinen Saal im Kulturzentrum Espoo in den mittleren Reihen kaum hören können, während Kallio ohne elektronische Hilfsmittel ausgekommen war.

Ich befürchtete, dass auch sie mir die Schuld an Irja Aholas Tod geben würde. Wir hatten ziemlich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man mit Gewalt in der Familie umgehen sollte. Kallio wollte die Täter ins Gefängnis stecken, während im Frauenhaus Versöhnung und Vergebung als das Wichtigste galten.

Bis gestern Abend hatte ich so gedacht.

Als ich in Kallios Zimmer kam, stutzte ich. Die Kommissarin sah müde aus. Zwischen ihren roten Haaren waren ein paar graue Strähnen aufgetaucht, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Vor einem Jahr erst hatte sie bei der Espooer Kripo die Leitung der Abteilung Gewaltkriminalität übernommen. Es hatte nicht allen geschmeckt, dass ein so verantwortlicher Posten mit der Mutter eines kleinen Kindes besetzt wurde.

«Ah, Säde Vasara, guten Tag.» Sie erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und gab mir die Hand. «Kriminalmeister Anu Wang schreibt das Protokoll», sagte sie und wies auf eine junge, orientalisch aussehende Frau, die am Computer saß.

Die Kommissarin berichtete, dass Pentti Ahola seiner Frau mit dem Schürhaken Dutzende von Schlägen an Kopf und Oberkörper beigebracht hatte. Auf dem Tisch lagen Klarsichthüllen mit Fotos von der Leiche; ich wollte sie nicht sehen.

«Die Staatsanwaltschaft wird Pentti Ahola wahrscheinlich wegen Mordes anklagen», meinte Kallio. Die Adern auf ihrem Handrücken standen hervor, ich konnte sie pulsieren sehen. «Aber für eine Mordanklage braucht es Beweise. Eine Begründung könnte neben der außergewöhnlich brutalen Tötungsweise die Tatsache sein, dass Ahola seine Frau mehr als fünf Jahre lang systematisch misshandelt hat. Du bist doch bereit, das zu bezeugen?»

«Natürlich, auch wenn es jetzt zu spät ist», antwortete ich so bissig, dass Kallio die Augenbrauen hochzog.

«Ich bin der gleichen Meinung. Irja Ahola hat nichts mehr davon, wenn ihr Mörder zwölf Jahre im Gefängnis sitzt. Aber du könntest deinen anderen Klientinnen erklären, dass Staatsanwältin Reponen in Fällen von Gewalt in der Familie eine schärfere Gangart einschlägt als ihre Vorgänger. Mit einer Geldbuße kommt man nun nicht mehr unbedingt davon. Fangen wir mit der Vernehmung an. Anu, schaltest du bitte das Aufnahmegerät ein?»

Nach den Routinefragen lehnte sich Kallio zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Geste wirkte drohend.

«Wann ist Irja Ahola zum ersten Mal ins Frauenhaus gekommen?»

«Im Mai dreiundneunzig.»

Ich erinnerte mich noch gut daran. Die rundliche, grauhaarige Frau war schnaufend aus dem Taxi gestiegen, die Hand vor der blutenden Nase. Am ersten Tag hatte ich nur den Namen aus ihr herausbekommen. Am nächsten Tag hatte sie angefangen zu erzählen. Ihr Mann war von Anfang an gewalttätig gewesen, aber in den ersten dreißig Jahren der Ehe hatte es «nur so Klapse» gesetzt, wie Irja sich ausdrückte. Das heftige Prügeln hatte Weihnachten zweiundneunzig angefangen, als die Elektroinstallationsfirma, bei der Pentti Ahola arbeitete, in Konkurs gegangen war und er seine Stelle verloren hatte.

Das Frauenhaus hatte versucht, den Aholas zu helfen. Wir hatten Versöhnungsgespräche geführt und eine Gesprächsgruppe für Männer angeboten. Irja war kein einziges Mal bereit gewesen, Anzeige zu erstatten. Ihre religiöse Überzeugung hatte es ihr verboten, und es war ein Prinzip des Frauenhauses, die Klientinnen zu respektieren. Dieses Prinzip hatte Irja das Leben gekostet.

Erst als ich die Vorfälle mit Kallio besprach, merkte ich, wie viele Fehler ich gemacht hatte. Beim letzten Mal hatten wir Irja mit einer gebrochenen Rippe in die Klinik bringen müssen, aber vor den Krankenschwestern hatte sie behauptet, sie wäre auf der Treppe gestolpert. Sie hatte Angst, das Krankenhauspersonal würde die Polizei informieren.

Nach der Vernehmung war mir speiübel. Kriminalmeister Wang druckte das Vernehmungsprotokoll aus und bat mich zu unterschreiben. Kallio sagte, die Staatsanwaltschaft würde sich bald mit mir in Verbindung setzen. Aus ihren Gesten schloss ich, dass ich gehen sollte. Ich blieb aber sitzen. Unschlüssig drehte ich den Konfirmationsring an meinem rechten Ringfinger und sagte schließlich:

«Ja, also ... Sirpa Väätäinen und ihre Kinder sind heute wieder in den Schutzhafen gekommen.»

Im vorigen Herbst hatte ich mit Kallios Dezernat zu tun gehabt, als sie dort Material für die Ermittlungen gegen Ari Väätäinen zusammenstellten. Seine Frau Sirpa war schon seit ein paar Jahren Klientin des Schutzhafens. Als Ari sie zum dritten Mal krankenhausreif geschlagen hatte, gestand ich mir zum ersten Mal ein, dass Versöhnung und gute Ratschläge nicht in allen Fällen von häuslicher Gewalt halfen.

Der Polizist, der die Voruntersuchung leitete, war beim Verhör ausgerastet und hatte Väätäinen geschlagen. Später hatte Väätäinen sein Geständnis widerrufen und behauptet, der Polizist hätte ihn unter Druck gesetzt. Schließlich hatte Sirpa den Staatsanwalt gebeten, die Anklage fallen zu lassen, doch der hatte abgelehnt. Das Urteil, eine Geldbuße, fand ich ungerecht, weil die ganze Familie darunter zu leiden hatte, dass kein Geld im Haus war.

Als ich von den Väätäinens sprach, schloss die Hauptkommissarin kurz die Augen und in ihrem Gesicht zuckte es. Kommissar Ström, der Ari Väätäinen beim Verhör geschlagen hatte, war nach dem Vorfall suspendiert worden, und ein paar Wochen später hatte ich seine Todesanzeige gelesen. Ich wusste nicht, wie nahe sich Kallio und Ström gestanden hatten, aber ich hoffte, dass sie nach dem Tod des Kollegen ebenso viel Grund hatte, Ari Väätäinen zu hassen, wie ich.

«Wie geht es Sirpa?», fragte sie schließlich.

Die Väätäinens waren gegen Mittag in den Schutzhafen gekommen. Das war eher ungewöhnlich, denn meistens spitzen sich gewaltsame Auseinandersetzungen in den Familien nachts zu, wenn die Schläger ein paar Schnäpse intus haben.

«Sie ist nicht weiter verletzt, bloß zur Hälfte kahl geschoren. Ari hat ihr die Haare abgeschnitten, damit sie nicht rausgehen und sich anderen Männern zeigen kann.»

«Hör mal, Säde.» Kallio sah mich mit ihren grünen Augen scharf an. «Sirpa ist ein genauso schlimmer Fall wie Irja Ahola. Oder besser gesagt, Ari Väätäinen ist ein ebenso hoffnungsloser Fall wie Pentti Ahola. Erzähl Sirpa, dass Irja tot ist. Sag ihr, sie soll Anzeige erstatten!»

«Das ist gegen unsere Prinzipien. Der Schutzhafen richtet sich nach den Wünschen der Klientinnen», antwortete ich gewohnheitsmäßig, aber ich merkte, dass meine Worte mich selbst nicht überzeugten.

«Warum brichst du dann vor mir die Schweigepflicht?», fuhr Kallio mich an. «Haltet ihr im Schutzhafen nicht gerade die Familie für wichtig? Denk doch mal an die Kinder! Was wird denn aus denen, wenn ihre Mutter im Grab liegt und der Vater im Gefängnis sitzt?»

Ich wusste keine Antwort. Wang begleitete mich nach draußen und sagte entschuldigend, die Hauptkommissarin hätte einen schweren Tag hinter sich. Ich allerdings auch, und die kommenden Tage würden nicht besser werden. Es tat weh zu beobachten, wie routiniert die Kinder der Väätäinens mit ihrer Mutter ins Frauenhaus kamen. Die neunjährige Marjo kümmerte sich um ihre Brüder, man sah, dass sie es gewohnt war. Sie zog ein zerknittertes Taschentuch aus der Hosentasche und putzte dem kleinen Bruder mit übertriebener Sorgfalt die Nase. Ich sah in ihr mich selbst vor fünfundzwanzig Jahren; auch ich hatte meinen kleinen Brüdern...
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Autor

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.Gabriele Schrey-Vasara, geboren 1953 in Rheydt, studierte Geschichte, Romanistik und Finnougristik in Göttingen und lebt seit 1979 in Helsinki. 2008 erhielt sie den Staatlichen finnischen Übersetzerpreis.