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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am21.06.2023
Oberstudienrat Kestner hält sich für tolerant und aufgeklärt. Aber als sich ein Fremder bei ihm zu Hause einnistet, zeigt sich, daß das Zusammenleben unter einem Dach nicht so einfach ist.

Hans Werner Kettenbach, geboren 1928, war Journalist und zuletzt stellvertretender Chefredakteur beim ?Kölner Stadt-Anzeiger?. Mit fünfzig schrieb er seinen ersten Roman. Insgesamt sind fünfzehn Romane erschienen, von denen fünf verfilmt wurden. Die Kritik hat sie mit den Werken von Sjöwall / Wahlöö (?Plärrer?), Simenon und Patricia Highsmith (FAZ) verglichen. 2009 erhielt Kettenbach den »Ehrenglauser« für sein Lebenswerk. Er starb am 5. Januar 2018 in Köln.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextOberstudienrat Kestner hält sich für tolerant und aufgeklärt. Aber als sich ein Fremder bei ihm zu Hause einnistet, zeigt sich, daß das Zusammenleben unter einem Dach nicht so einfach ist.

Hans Werner Kettenbach, geboren 1928, war Journalist und zuletzt stellvertretender Chefredakteur beim ?Kölner Stadt-Anzeiger?. Mit fünfzig schrieb er seinen ersten Roman. Insgesamt sind fünfzehn Romane erschienen, von denen fünf verfilmt wurden. Die Kritik hat sie mit den Werken von Sjöwall / Wahlöö (?Plärrer?), Simenon und Patricia Highsmith (FAZ) verglichen. 2009 erhielt Kettenbach den »Ehrenglauser« für sein Lebenswerk. Er starb am 5. Januar 2018 in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614206
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum21.06.2023
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1027 Kbytes
Artikel-Nr.11849683
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Erst später, wir hatten Georgien schon verlassen und waren in die armenische Sowjetrepublik weitergereist, begann ich nachzudenken über Ninoschwilis und Matassis Arbeitsteilung bei der Betreuung eines Gastes. Wir waren in einem Bus unterwegs von Erewan nach Etschmiadsin, wo uns die Ehre einer Audienz beim Katholikos widerfahren sollte, als Dautzenbacher, dem kein Scherz zu abgeschmackt war, nach dem Mikrophon der Dolmetscherin griff und mit seinem Bierbaß hineingrölte: »Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage!«

Er räusperte sich, daß die Membrane krachte, und fuhr fort: »Denken Sie an die Wanzen! Wir befinden uns zwar auf dem Weg in ein Kloster, aber glauben Sie nur ja nicht, daß das Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche diese possierlichen Tierchen nicht zu schätzen weiß. Also bitte: Keine aufsässigen Fragen und vor allem keine destruktive Kritik an der Sowjetmacht! Es wird alles aufgezeichnet! Sie werden schon sehen, was Sie davon haben. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.« Er gab das Mikrophon an die Dolmetscherin zurück, eine Irina oder Natascha von Inturist, die es mit leicht gequältem Lächeln entgegennahm, ließ sich in seinen Sitz fallen und erfreute sich - die breiten Schultern hüpften - an seiner Darbietung.

Mir fiel jählings das Memento ein, das mir zu Hause mit dem Programm der Reise ausgehändigt worden war und das ich kopfschüttelnd in den Papierkorb geworfen hatte. Unsere Studiengruppe könne, so hieß es darin, zwar mit freundlicher Aufnahme rechnen; wir sollten jedoch nicht vergessen, daß die Sowjetunion über ein hochentwickeltes System der Nachrichtenbeschaffung verfüge und dieses nicht zuletzt gegenüber Besuchern aus dem Ausland einsetze.

Die Einzelheiten weiß ich nicht mehr, jedenfalls warnte der Wisch die Teilnehmer der Reise nicht nur vor »Lausch-Einrichtungen« im Hotelzimmer, sondern auch vor unseren Gesprächspartnern, allesamt »erstklassige Fachleute des Bildungswesens«, was leider nicht ausschließe, daß der eine oder andere von ihnen auch »in nachrichtendienstlichem Auftrag« arbeite. Es folgten mehrere kategorische Imperative für den arglosen Studienreisenden, die nach meiner Erinnerung lauteten: Gehen Sie nicht allein aus! Hüten Sie sich vor verfänglichen Situationen!, und zur Krönung mit drei Ausrufezeichen: Liefern Sie unseren Gastgebern keinen Anlaß, Sie in irgendeiner Form unter Druck zu setzen!!!

Ich hatte die Auflistung solcher Banalitäten für eine Wichtigtuerei der Bundesbehörde gehalten, die unsere Studienreise finanzierte und der bei ihrem Auftrag, dem deutsch-sowjetischen Kulturaustausch nämlich, offenbar nicht recht geheuer war. Aber in demselben Augenblick, in dem diese kindischen Verhaltensregeln mir wieder einfielen, glaubte ich in ihnen ein gräßliches Menetekel zu erkennen, dessen Verwirklichung ich nur mit knapper Not entronnen war. Mir wurde heiß, ich begann, während meine Erinnerungen an Tiflis sich unaufhaltsam in einen ebenso beschämenden wie beängstigenden Alptraum verwandelten, auf meinem Sitz hin und her zu rutschen. Hatte ich eins und eins nicht mehr zusammenzählen können?

Matassi, die Angestellte der Universitätsbibliothek, und Ninoschwili, der Schriftsteller, Übersetzer und Dolmetscher, erschienen mir in einem neuen, bedrohlichen Licht. Zwei sympathische Charaktere, aufgeschlossen, offenherzig? Welch niederträchtige Täuschung! Diese beiden waren hinter der Fassade ihrer Gastfreundschaft in Wahrheit ein Agentenpärchen des sowjetischen Geheimdienstes. Und so fand ich auch für Ninoschwilis einstündigen Ausflug zum Zuckerbäcker eine einleuchtende Erklärung.

Die Falle war aufgestellt, als er mich in seine Wohnung einlud. Eine Wanze im Schlafzimmer, nicht als ständige Installation natürlich, sondern von Ninoschwili eigens für meinen Besuch plaziert, vielleicht auch von einer technischen Hilfskraft des KGB. Ninoschwili verläßt, nachdem er mich bei Matassi abgeliefert hat, das Haus, beauftragt die Kinder im Hof, das Backwerk im Laden nebenan zu besorgen, begibt sich alsdann zurück in eine neben seiner Wohnung gelegene fensterlose Kammer und schaltet das Abhörgerät ein. Er wartet auf Matassis Hilferuf, legt die Kopfhörer nur einmal ab, als die Kinder anklopfen und die Tüte abliefern.

Als nach einer Stunde noch immer nichts Verwertbares geschehen ist, bricht er das Unternehmen ab, kehrt mit seinem Einkauf zum Kaffee zurück und erklärt, er sei aufgehalten worden. Aber unverzüglich wird der nächste Anschlag vorbereitet. Matassi, mit weißen Zähnen in ein knuspriges Hörnchen beißend, bringt das Gespräch auf den Bericht eines französischen Ethnologen über seinen Besuch im Tiflis der Jahrhundertwende und erklärt, als ich mein Interesse bekunde, sie werde den Artikel aus dem Zeitschriftenarchiv der Bibliothek fotokopieren und am nächsten Tag in meinem Hotel hinterlassen.

Hätte ich nicht spätestens an diesem Tag den Unrat wittern müssen?

Matassi begnügte sich keineswegs damit, die Kopie an der Rezeption des Hotels abzugeben. Sie erschien vielmehr unangemeldet auf der zwölften Etage und klopfte an meine Zimmertür, als ich mich nach einem abermals strapaziösen Mittagessen zurückgezogen hatte, um vor dem nächsten Termin unseres Studienprogramms ein Schläfchen zu halten.

Uber ihre Erklärung dieses aufreizenden Überfalls - der Service des Hotels sei leider nicht sehr zuverlässig, selbst Auslandsbriefe gingen hin und wieder verloren - machte ich mir keine Gedanken, die mich hätten irritieren können. Ich ging ins Badezimmer, striegelte meine Haare, spülte den Mund, schloß die Knöpfe meines Hemds. Als ich herauskam, saß sie auf dem Bett und blätterte in meiner Nachtlektüre, einem Kriminalroman von Simenon.

Ich bot ihr von dem Bourbon an, den ich vor dem Abflug zollfrei als Reiseproviant erstanden hatte, und sie zögerte nicht eine Sekunde: »Oh, wonderful, thank you! Just a little bit, please.« Ich setzte mich mit den beiden Gläsern neben sie, stieß mit ihr an und verzichtete, während die dunkelbraunen Augen über den Rand des Glases in mich drangen, auf das Präludium, das ich in Erwägung gezogen hatte (einen Plausch über Georges Simenon und die erotische Komponente in seinem Werk). Zeitvergeudung. Schnickschnack, nicht erforderlich.

Ich nahm ihr das Glas ab, näherte mich ihr, indem ich einen Arm auf der anderen Seite ihrer Schenkel aufs Bett stützte, und sagte, ich müsse unbedingt noch einmal, einmal wenigstens an ihrer Haut riechen. Sie lachte. Ich fuhr mit meiner Nase sacht über ihre Wange, ihre Augenbrauen, dann abwärts über ihre Nase, ihren Mund, ihren Hals. Ich küßte den Hals, dann die Lippen. Da sie den Kuß erwiderte, kam ich nicht mehr dazu, sie zu fragen, ob sie Myrrhe verwende. Wir sanken auf das Bett, ich legte eine Hand zwischen ihre Schenkel. Die Haut war glatt und kühl. Matassi sperrte sich nicht, sie schloß die Augen.

Es klopfte hart an die Tür, dreimal, und nach einer kurzen Pause abermals. David Ninoschwili, mit dem Messer in der Faust. Matassi öffnete die Augen, aber sie blieb liegen. Ich fürchte, meine Reaktion hat sie an meiner Männlichkeit zweifeln lassen. Ich zog die Hand unter ihrem Rock hervor, als hätte mich ein bösartiges Insekt gestochen, sprang auf und starrte auf die Tür.

Es war nicht David der Rächer, sondern Karl-Heinz Dautzenbacher. Er rief: »Machen Sie auf, Kestner! Oder wollen Sie den ganzen Nachmittag verpennen?«

Matassi erhob sich, sie legte den Simenon, der zu Boden gefallen war, auf den Nachttisch, nahm ihr Glas und setzte sich in einen Sessel. Als ich mich nicht vom Fleck rührte, lächelte sie und fragte: »Why don´t you open?« Ich öffnete die Tür. Dautzenbacher hob die Augenbrauen, als er Matassi sah, grinste, sagte: »Hallo, Mistress Ninoschwili!« und entschuldigte sich, unablässig grinsend. Er habe mir nur ausrichten wollen, daß der Bus zur Besichtigung der Festung Nariqala eine halbe Stunde früher abfahre.

Ich hätte den feixenden Störenfried umbringen, ihm König Davids Jagdspeer durch sein dickes Fell rammen mögen, diesem Elefanten, der mein morgenländisches Gärtlein zertrampelt hatte. Hernach, auf der Fahrt nach Etschmiadsin, als ich die Wahrheit zu erkennen glaubte, begann ich wider Willen, ihn zu würdigen. Karl-Heinz Dautzenbacher, ein ungeschlachter, dümmlicher Schutzengel, der ahnungslos, aber zuverlässig den Weisungen des Fatums folgte, hatte mich aus der Falle gerettet.

Wieder hatte David Ninoschwili nebenan gesessen, in einem vom KGB in Beschlag genommenen Hotelzimmer, den Kopfhörer auf den Ohren. An seiner Seite steht wartend ein Milizionär, halbhohe Stiefel, runde Schirmmütze mit rotem Band und goldfarbenem Stern. Ninoschwili lauscht, hebt den Kopf, als er mich von Matassis Haut reden hört. Unversehens hört er das Türklopfen, erkennt Dautzenbachers Stimme. Mit einem Fluch reißt er den Kopfhörer herunter, wirft ihn auf die Schreibplatte.

Wäre Dautzenbacher nicht in die Szene hereingestampft, diese Inszenierung hätte zu einem ganz anderen, bösen Ende geführt: Ninoschwili, angestrengt lauschend, hebt einen Finger. Der Milizionär nimmt die Hände, die er hinter dem Rücken zusammengelegt hat, auseinander und streckt das Kinn heraus. Aus dem Zimmer nebenan, meinem Zimmer, dringt ein gellender Schrei, Matassis Hilfeschrei. Ninoschwili tritt den Stuhl zurück, stürzt aus dem Zimmer, hämmert an meine Tür. Die Tür springt auf, dahinter erscheint Matassi.

Ihre Bluse und ihr Büstenhalter sind zerrissen, sie rafft die Fetzen zusammen und preßt sie auf die nackten Brüste, läßt sich gegen die Wand sinken. Ihr Lebensgefährte stellt ihr auf...
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