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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Ravensburger Verlagerschienen am01.07.20131. Aufl
Franziska ist 11 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Nazi-Deutschland flieht, um am anderen Ende der Welt - in Shanghai - ein neues Leben anzufangenen.

Anne C. Voorhoeve, geboren am 19. Dezember 1963, schrieb ihre erste Geschichte mit sechs Jahren. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft, Amerikanistik und Alter Geschichte arbeitete sie als Verlagslektorin, Drehbuchautorin und in der Öffentlichkeitsarbeit. Anne C. Voorhoeve möchte jüngste Geschichte für ihre Leser erlebbar machen. Ihr erstes Jugendbuch 'Lilly unter den Linden' erschien 2004 und verschaffte der Autorin sofort große Aufmerksamkeit. Seither hat sie mit ihren Romanen 'Liverpool Street', 'Einundzwanzigster Juli', 'Unterland' und 'Nanking Road' immer wieder unbekanntere zeitgeschichtliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt und sich eine große Fangemeinde erschrieben. Ihre Bücher wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Buxtehuder Bullen und dem Batchelder Award 2013 für die amerikanische Übersetzung von 'Liverpool Street' Anne C. Voorhoeve lebt in Berlin.
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Produkt

KlappentextFranziska ist 11 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Nazi-Deutschland flieht, um am anderen Ende der Welt - in Shanghai - ein neues Leben anzufangenen.

Anne C. Voorhoeve, geboren am 19. Dezember 1963, schrieb ihre erste Geschichte mit sechs Jahren. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft, Amerikanistik und Alter Geschichte arbeitete sie als Verlagslektorin, Drehbuchautorin und in der Öffentlichkeitsarbeit. Anne C. Voorhoeve möchte jüngste Geschichte für ihre Leser erlebbar machen. Ihr erstes Jugendbuch 'Lilly unter den Linden' erschien 2004 und verschaffte der Autorin sofort große Aufmerksamkeit. Seither hat sie mit ihren Romanen 'Liverpool Street', 'Einundzwanzigster Juli', 'Unterland' und 'Nanking Road' immer wieder unbekanntere zeitgeschichtliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt und sich eine große Fangemeinde erschrieben. Ihre Bücher wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Buxtehuder Bullen und dem Batchelder Award 2013 für die amerikanische Übersetzung von 'Liverpool Street' Anne C. Voorhoeve lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783473472574
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum01.07.2013
Auflage1. Aufl
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1287045
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Eine Freundin wie Rebekka Liebich würde ich nie wieder finden. Sie zog ihre Stirn in Falten, klemmte die Zungenspitze zwischen die Lippen und peilte kaltblütig die Kuppe ihres linken Mittelfingers an. Ich sah sie zögern, wenigstens für einen Augenblick. Dann stach sie zu.

Oh Gott, dachte ich. Jetzt bin ich dran!

Für meine Mutter gehörte es zu den unumstößlichen Regeln des Zusammenlebens, dass es unter Freundinnen eine geben musste, die voranging - die führte, hatte Mamu zunächst sagen wollen, sich dann aber mitten im Wort eines Besseren besonnen, da nichts, was sich von Führer ableitete, in meiner Familie noch in den Mund genommen wurde. Selbst seinen Namen sprachen wir nicht aus. Für uns war er nur der Fü.

Und zweifellos war meine Mutter, seit sie laufen konnte, diejenige, der alle anderen hinterherzurennen hatten - erst ihre Freundinnen, dann Papa und ich. Aber schon im Kindergarten hatte es in Bekkas und meinem Fall leider begonnen, sich genau andersherum zu entwickeln.

Wenn Bekka voranging, kam man höchstens durch einen glücklichen Zufall noch aus der Sache heraus. Beim letzten Mal, als Bekka vorangegangen war, hatte mich einzig das Auftauchen der alten Keifziege Bergmann davor bewahrt, aus dem dritten Stock in einen Baum zu springen. Ich hatte keine Ahnung, was - ohne Bekka - von morgen an aus mir werden sollte.

»Nun bring´s schon hinter dich!«, forderte meine Freundin mich auf. »Oder soll ich ...?«

Ich streckte die Hand aus und mit aufmunterndem Nicken legte sie das Messer hinein. An der Spitze schien noch ein Tröpfchen ihres Blutes zu kleben, ein Anblick, der mir geradewegs in die Knie fuhr. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Bekkas Mutter, die sanfte Frau Liebich, so verantwortungslos war, ein spitzes Messer in Reichweite ihrer Tochter herumliegen zu lassen! Sie schien keinen Schimmer zu haben, wozu diese imstande war. Was in der Konsequenz nichts anderes bedeutete, als dass sie auch nicht auf den vernünftigen Gedanken kommen konnte, ab und zu kontrollhalber ihre Nase durch die Tür zu stecken.

Dabei war die Tür nur angelehnt. Ich hörte die leisen Stimmen der Erwachsenen aus dem Wohnzimmer - die der Liebichs und die meiner eigenen Eltern, schließlich war es auch ihr letzter Abend. Aber weit und breit kein Beistand in Sicht.

»Ich finde die Methode der alten Germanen gut genug«, machte ich einen letzten schwachen Versuch, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Bekka seufzte. »Wir sind aber keine Germanen, Ziska.«

»Bin ich ein Vampir?«, protestierte ich.

Bekka lehnte sich geduldig zurück, ihren Mittelfinger, auf dem eine Blutperle glänzte, abwartend in die Luft gestreckt. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie sich das Reden sparen konnte, da ihre Freundin Ziska über kurz oder lang kapitulieren würde. Hatte sie schließlich immer, oder etwa nicht?

Zum ersten Mal streifte mich der Gedanke, wie Bekka mich in Erinnerung behalten würde - und welch beunruhigendes Licht es auf unsere Freundschaft warf, dass weder sie noch ich unsere Trennung auch nur ein einziges Mal infrage gestellt hatten. Wir beide hatten zu viele andere gehen sehen, um nicht längst begriffen zu haben, dass es nicht mehr um das Ob ging, sondern nur noch um das Wer, Wann und Wohin. Und dennoch: Hätte nicht eine von uns wenigstens Schade sagen müssen?

Plötzlich konnte ich vor mir sehen, wie Bekka schon übermorgen nicht mehr an mich denken würde. Wie sie vorangehen würde ohne einen einzigen Blick zurück, konzentriert auf das, was als Nächstes kam, und als hätte es nie eine Ziska in ihrem Leben gegeben. Wenn ich fort war, würde auch Bekka nicht lange bleiben; sie und ihr Bruder Thomas standen auf der Warteliste für einen Kindertransport nach England und planten ihre Eltern nachzuholen.

Es war typisch für Bekka, bereits einen Plan zu haben. Meine und Mamus Aufmerksamkeit war in den letzten Wochen ausschließlich darauf konzentriert gewesen, Ausreisepapiere zu organisieren und Papa zurückzubekommen, und erst jetzt, da der Dampfer praktisch abfahrbereit am Kai stand, fiel mir auf, dass über unserer Zukunft nichts mehr stand außer einem großen Fragezeichen.

Meine Augen spiegelten sich in der Messerklinge, ich sah aus wie ein erschrockener Frosch. »Ich zähle von fünf rückwärts«, bot Bekka an.

Blutsschwestern, hatte sie gesagt. Dass die Germanenmethode, unser Blut durch das Kreuzen der geritzten Arme zu vermischen, sie sowieso nicht überzeugte. Dass wir, wenn es halten sollte, gründlicher vorgehen mussten: wie die Protestanten mit dem Blute Christi! Das einzige Mal, das Bekka meine Eltern und mich zum Gottesdienst begleitet hatte, hatte einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen, obwohl ich keinesfalls versäumt hatte zu erwähnen, dass sich in dem Kelch, der gereicht wurde, nur Wein befand.

»Fünf, vier, drei, zwo ...«

Ich zog die Stirn in Falten, kniff die Zunge zwischen die Lippen und stach zu. Wenn das Mischen unseres Blutes auch nur den winzigsten Hauch einer Chance enthielt, unsere Freundschaft über eine Distanz von achteinhalbtausend Kilometern am Leben zu erhalten, dann sollte es an mir nicht scheitern. Als Feigling durfte ich Bekka nicht in Erinnerung bleiben.

Leider waren weder das Zustechen noch der Blutstropfen, den Bekka mir anschließend fachmännisch aus dem Mittelfinger quetschte, schon das, worauf es ankam. Ich konnte nicht anders, ich sandte einen weiteren flehentlichen Blick zur angelehnten Tür, aber vergebens, das Murmeln der Erwachsenen klang zu eindringlich, zu bedrückt, sie hatten uns vergessen.

»Meiner ist schon fast geronnen«, kam Bekka mir zu Hilfe, indem sie die Prozedur erheblich beschleunigte - jedes weitere Zögern wäre nun wirklich unverantwortlich gewesen. Kaum tauchte Bekkas Finger vor meinem Gesicht auf, öffnete sich mein Mund auch schon wie von selbst und ein metallisch schmeckender Gegenstand rubbelte meine Zunge, während gleichzeitig an meinem eigenen Finger so entschlossen gesaugt wurde, dass ich einen Krampf im Zeh bekam. Vor lauter Selbstbeherrschung schossen mir Tränen in die Augen.

Als ich sie wegblinzelte, entdeckte ich Bekkas älteren Bruder in der Tür. Thomas war so dunkel und still, wie Bekka blond und temperamentvoll war, und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, als er uns beide auf dem Fußboden hocken sah - jede einen Finger im Mund der anderen, ich noch mit dem Messer in der Hand -, schien er sich zu fragen, ob er und seine Schwester überhaupt verwandt waren.

Bekka zog ihre Hand zurück und blickte ihn herausfordernd an.

»Habt ihr noch Appetit auf Nachtisch?«, fragte Thomas.

Meine Mutter hatte gezögert, die Einladung zum Abendessen anzunehmen. Bekkas Eltern waren, was Mamu als arm bezeichnete, und da Liebichs es so geschickt zu verbergen wussten, fiel es mir selbst erst auf, seitdem meine Mutter es erwähnt hatte. Vorher hatte ich nicht weiter darauf geachtet, dass wertvolle Teppiche einer nach dem anderen durch braune, abgetretene Läufer ersetzt worden waren, durch die die Dielen schimmerten. Dass, wo Ölgemälde gehangen hatten, Zeichnungen von Bekka an die Wände gepinnt wurden, hatte ich als Anerkennung ihres künstlerischen Talents verstanden und das Verschwinden des Konzertflügels einzig darauf zurückgeführt, dass die Familie Platz brauchte. Anstelle des Flügels war ein wackliges Klavier mit scheppernden gelben Tasten getreten, die mitunter hängen blieben, wenn Thomas Präludien übte, aber für meine Ohren tat es seinen Zweck: Wenn Thomas spielte, klang jedes Instrument wunderbar.

Als Bekka und ich hinter Thomas ins Wohnzimmer zurückkehrten, stand eine Schüssel Pudding auf dem Tisch, dazu Kaffee und Alkoholisches für die Erwachsenen, und Mamu fragte aus reiner Gewohnheit: »Na, was habt ihr ausgeheckt?«

»Reisevorbereitungen«, erwiderte Bekka und erstaunt bemerkte ich, dass ich tatsächlich begann, mich vorbereiteter zu fühlen! Mein Weggehen konnte Bekka keinesfalls gleichgültig sein, war sie es doch gewesen, die darauf bestanden hatte, dass wir uns als Blutsschwestern trennten, verbunden für alle Zeit durch ein heiliges Ritual. Ein kleiner Teil von Bekka machte sich soeben auf den Weg durch meinen Körper, ließ hier ein wenig Mut zurück, dort eine Spur Entschlossenheit, woanders vielleicht sogar die Werkzeuge eines Plans. Zum ersten Mal, seit unsere Koffer versiegelt worden waren - damit wir nicht auf den Gedanken kamen, in letzter Sekunde noch Wertsachen außer Landes zu schmuggeln -, fühlte ich mich bereit zu gehen.

Herr Liebich jedoch schüttelte den Kopf. »Niemand kann auf das da vorbereitet sein«, behauptete er, nachdem der Pudding verteilt worden war. »Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt ja keinen anderen Ausweg. Aber ist China nicht noch immer im Krieg mit Japan?«

»Richtig, aber die Ausländer im internationalen Sektor sind nicht in Gefahr. Er ist extraterritoriales Gebiet, sein Status entspricht dem einer ausländischen Botschaft und das wird auch von Japan anerkannt. Das Sagen haben Briten und Amerikaner. Es gibt auch noch einen französischen Sektor mit denselben Rechten.«

»Und wovon in aller Welt wollen Sie dort leben?«

»Wovon sollen wir hier leben?«, erwiderte Papa. »Ich darf nicht mehr arbeiten - wie Sie, mein Lieber, schon seit Jahren. Anderswo werden Rechtsanwälte vielleicht noch gebraucht.«

»Im Übrigen bin ich auch noch da«, erinnerte Mamu. »Ich habe vor der Ehe...


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Autor

Anne C. Voorhoeve, geboren am 19. Dezember 1963, schrieb ihre erste Geschichte mit sechs Jahren. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft, Amerikanistik und Alter Geschichte arbeitete sie als Verlagslektorin, Drehbuchautorin und in der Öffentlichkeitsarbeit. Anne C. Voorhoeve möchte jüngste Geschichte für ihre Leser erlebbar machen. Ihr erstes Jugendbuch "Lilly unter den Linden" erschien 2004 und verschaffte der Autorin sofort große Aufmerksamkeit. Seither hat sie mit ihren Romanen "Liverpool Street", "Einundzwanzigster Juli", "Unterland" und "Nanking Road" immer wieder unbekanntere zeitgeschichtliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt und sich eine große Fangemeinde erschrieben. Ihre Bücher wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Buxtehuder Bullen und dem Batchelder Award 2013 für die amerikanische Übersetzung von "Liverpool Street" Anne C. Voorhoeve lebt in Berlin.