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Böhmisches Blut

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.01.20141. Auflage
September 1941. Die Lebensmittelrationierung, die Angriffe der englischen Luftwaffe, die nächtliche Ausgangssperre - all das macht das tägliche Leben in der deutschen Reichshauptstadt Berlin alles andere als angenehm. In der vom Krieg geschüttelten Stadt treiben zudem Mörder und tschechische Terroristen ihr Unwesen. Aber für Bernie Gunther ist die Arbeit im Morddezernat der Kripo am Alexanderplatz nach den Schrecken der Ostfront beinahe Erholung. Leider muss er alles stehen- und liegenlassen - auch seine hübsche Kneipenbekanntschaft -, als sein alter Chef Reinhard Heydrich, inzwischen stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, ihn nach Prag beordert. Dort soll er ein Wochenende in dessen Landhaus verbringen. Neben Heydrich geben sich dort zahlreiche andere unangenehme Persönlichkeiten aus SA und SS ein Stelldichein. Doch dann wird eine Leiche in einem von innen abgeschlossenen Zimmer gefunden, und Bernie muss den Täter finden. Und er muss es schnell tun, denn Heydrich kann einen ungelösten Mordfall nicht auf sich sitzenlassen ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSeptember 1941. Die Lebensmittelrationierung, die Angriffe der englischen Luftwaffe, die nächtliche Ausgangssperre - all das macht das tägliche Leben in der deutschen Reichshauptstadt Berlin alles andere als angenehm. In der vom Krieg geschüttelten Stadt treiben zudem Mörder und tschechische Terroristen ihr Unwesen. Aber für Bernie Gunther ist die Arbeit im Morddezernat der Kripo am Alexanderplatz nach den Schrecken der Ostfront beinahe Erholung. Leider muss er alles stehen- und liegenlassen - auch seine hübsche Kneipenbekanntschaft -, als sein alter Chef Reinhard Heydrich, inzwischen stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, ihn nach Prag beordert. Dort soll er ein Wochenende in dessen Landhaus verbringen. Neben Heydrich geben sich dort zahlreiche andere unangenehme Persönlichkeiten aus SA und SS ein Stelldichein. Doch dann wird eine Leiche in einem von innen abgeschlossenen Zimmer gefunden, und Bernie muss den Täter finden. Und er muss es schnell tun, denn Heydrich kann einen ungelösten Mordfall nicht auf sich sitzenlassen ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644216211
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum17.01.2014
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.8
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1147 Kbytes
Artikel-Nr.1328841
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 1

September 1941


Der Gedanke an Selbstmord ist für mich sehr beruhigend. Manchmal ist er das Einzige, was mir durch eine schlaflose Nacht hilft.

In solch einer Nacht - und davon gab es viele - zerlegte ich meist meine Baby Browning und fettete sorgfältig die metallenen Teile der Pistole. Ich hatte zu oft erlebt, was Fehlschläge anrichten konnten, und wusste, wie wichtig eine gut gepflegte Waffe war. Zu viele Selbstmorde gingen daneben, weil eine Kugel in einem zu spitzen Winkel in den Schädel eines Mannes eindrang. Ich entlud sogar die kleine Stiege des Magazins, in der die Kugeln ruhten, und polierte jede einzelne. Dann reihte ich sie wie kleine, tapfere Messingsoldaten vor mir auf und suchte die sauberste und strahlendste aus, die über allen anderen thronen durfte. Ich wollte mir nur mit der besten ein Loch in die Wand meiner Gefängniszelle sprengen, zu der mein Schädel geworden war. Nur sie durfte einen Tunnel in die grauen Windungen aus Verzweiflung graben, zu denen mein Verstand geworden war.

Das alles erklärte vielleicht, warum so viele Selbstmorde bei der Polizei fälschlicherweise als Unfall registriert werden. «Er hat doch nur seine Waffe gereinigt, und dann ging ein Schuss los», sagte die trauernde Witwe.

Natürlich löst sich gern mal ein Schuss, und manchmal tötet die Waffe auch denjenigen, der sie in der Hand hält. Aber zuerst muss man den kalten Lauf gegen seinen Kopf drücken - am besten gegen den Hinterkopf - und den verfluchten Abzug drücken.

Ein paarmal habe ich sogar einige gefaltete Handtücher unter das Kopfkissen auf meinem Bett gelegt und mich mit dem festen Entschluss hingelegt, es jetzt endlich hinter mich zu bringen. Es fließt ziemlich viel Blut aus einem Kopf, selbst wenn das Loch nur ganz klein ist. Ich lag dann da und starrte auf den Abschiedsbrief, den ich auf meinem besten Papier verfasst hatte. Das Papier hatte ich in Paris gekauft. Der Brief lehnte auf dem Kaminsims und war an niemand Bestimmtes adressiert.

Niemand Bestimmtes und ich hatten im Spätsommer 1941 eine ziemlich enge Beziehung.

Nach einer Weile schlief ich dann manchmal ein. Aber die Träume, die ich dann hatte, waren allesamt nicht jugendfrei. Vermutlich waren sie sogar für Conrad Veidt oder Max Schreck unpassend. Einmal wachte ich aus einem so schrecklichen, lebhaften und packenden Traum auf, dass ich tatsächlich meine Pistole abfeuerte. Ich saß kerzengerade im Bett und schoss. Die Uhr in meinem Schlafzimmer - die Wiener Wanduhr aus Walnussholz, die meiner Mutter gehört hatte - war danach nie mehr dieselbe.

In anderen Nächten lag ich da und wartete, bis das graue Licht unter den Kanten der staubigen Vorhänge an Kraft gewann und mich die absolute Leere des neuen Tages begrüßte.

Tapferkeit zählte nichts mehr. Aber ich war auch gar nicht tapfer. Die ständige Befragung meines zerrissenen Ichs schuf kein Bedauern, sondern nur noch mehr Selbsthass. Für alle Außenstehenden war ich immer noch derselbe Mann, der ich schon immer gewesen war: Bernie Gunther, Kriminalkommissar vom Alex. Und doch war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ein Blender. Ein Knäuel aus Gefühlen mit gefletschten Zähnen und einem Kloß im Hals und einer schrecklich leeren Höhle tief in meinem Bauch.

Aber nach meiner Rückkehr aus der Ukraine war ich nicht der Einzige, der sich anders fühlte. Auch Berlin war anders. Wir befanden uns fast zweitausend Kilometer von der Front entfernt, doch der Krieg lag trotzdem in der Luft. Das hatte nichts mit der britischen Luftwaffe zu tun, die trotz Hermann Görings leeren Versprechungen, dass niemals eine englische Bombe auf die deutsche Hauptstadt fallen werde, es irgendwie schaffte, unregelmäßig, aber dennoch zerstörerisch am nächtlichen Himmel aufzutauchen. Im Sommer 1941 suchten die Briten uns allerdings noch selten auf. Nein, es war Russland, das jetzt jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusste. Nicht nur, was in die Läden kam, sondern auch die Aktivitäten in der spärlich bemessenen Freizeit - eine Zeitlang war es sogar verboten, zu tanzen - wurden vom Russen bestimmt. Selbst, wie man in der Stadt von einem Ort zum anderen kam.

«Die Juden sind unser Unglück», verkündeten die Zeitungen der Nazis. Aber niemand glaubte wirklich an das, was Curt Treitschke im Herbst 1941 verkündete. Und schon gar nicht, da die selbstverursachte Katastrophe in Russland ihren Lauf nahm, die um einiges verheerender war. Die Kampagne im Osten lief schon jetzt völlig aus dem Ruder. Und wegen Russland und der überhandnehmenden Bedürfnisse unserer Armee fühlte sich Berlin zunehmend wie die Hauptstadt einer Bananenrepublik an, der die Bananen ausgegangen waren. Wie auch so ziemlich alles andere, was man sich vorstellen konnte.

Es gab nur noch wenig Bier, und manchmal gar keins mehr. Gaststätten und Bars blieben zuerst einen Tag die Woche geschlossen, dann zwei. Manchmal machten sie gleich ganz zu, und nach einiger Zeit gab es nur noch vier Bars in der Stadt, in denen man überhaupt noch ein Glas Bier bekam. Nicht, dass es nach Bier schmeckte, wenn man es schaffte, welches zu bekommen. Die saure, braune und brackige Flüssigkeit, die wir verbittert in den Gläsern vor uns hüteten, erinnerte mich eher an die mit Wasser gefüllten Granattrichter und die ruhigen Tümpel im Niemandsland, in denen wir uns manchmal dankenswerterweise verstecken durften. Für einen Berliner war dieses «Bier» ein echtes Unglück. An härtere Sachen kam man erst recht nicht, und das bedeutete, dass es schlicht unmöglich war, sich zu betrinken und seinem eigenen Ich zu entkommen. Und deshalb blieb mir spät in der Nacht nichts anderes übrig, als meine Pistole zu reinigen.

Die Fleischration war ebenso enttäuschend für eine Bevölkerung, für die Wurst in allen Darreichungsformen ein Ausdruck ihrer Lebensart war. Angeblich standen jedem 500 Gramm Fleisch pro Woche zu. Aber selbst wenn Fleisch zu bekommen war, erhielt man für einen 100-Gramm-Coupon höchstens 50 Gramm.

Nach einer schlechten Ernte gab es bald keine Kartoffeln mehr. Auch die Pferde, die die Milchwagen zogen, verschwanden von der Straße. Nicht, dass man sie noch brauchte, denn in den großen Milchkannen war keine Milch mehr. Es gab nur noch Milchpulver und Eipulver. Beides schmeckte wie der Mörtelstaub, der durch das Bombardement der britischen Luftwaffe von unseren Zimmerdecken rieselte. Brot schmeckte nach Sägemehl, und viele schworen, es sei auch daraus gebacken. Mit einer Kleiderkarte bekam man gerade einmal des Kaisers neue Kleider und mehr nicht. Man konnte sich kein neues Paar Schuhe kaufen, und es war fast unmöglich, einen Schuster zu finden, der einem die alten reparierte. Wie alle anderen Handwerker waren auch Berlins Schuster in der Armee.

Ersatz oder Waren zweiter Wahl gab´s überall. Bindfaden riss, wenn man versuchte, ihn festzuziehen. Neue Knöpfe zerbröselten unter den Fingern, wenn man versuchte, sie anzunähen. Zahnpasta bestand aus Kalk und Wasser mit Pfefferminzgeschmack, und in den langen Schlangen, in denen man für Seife anstand, schäumten die Leute selbst mehr als dieses krümelige, keksgroße Stück, mit dem sie sich angeblich sauber halten konnten - und das für einen ganzen Monat reichen sollte. Selbst diejenigen unter uns, die nicht in der Partei waren, fingen allmählich an, unangenehm zu riechen.

Weil alle Handwerker in der Armee waren, gab es auch niemanden, der die Tram oder die Busse instand hielt, und deshalb wurden ganze Strecken - wie die Linie 1, die Unter den Linden entlangführte - einfach eingestellt. Die Hälfte von Berlins Zügen wurden in den Osten geschickt, wo sie die russische Kampagne mit dem Fleisch, den Kartoffeln, dem Bier, der Seife und der Zahnpasta, die man daheim nicht bekam, unterstützten.

Und es waren nicht nur die Maschinen, die vernachlässigt wurden. Wohin man auch schaute, blätterte die Farbe von den Wänden und dem Gebälk. Türklinken hielt man unvermutet in der Hand. Die Rohrleitungen und das Heizungssystem brachen zusammen. Die Baugerüste an den von Bomben zerstörten Häusern blieben lange stehen, weil es keine Dachdecker mehr gab, die wenigstens notdürftige Reparaturen ausführten. Kugeln hingegen arbeiteten weiterhin perfekt, wie sie es stets getan hatten. Die deutsche Munition war schon immer gut gewesen. Ich hatte mich selbst davon überzeugt, dass Munition und die Waffen, mit denen sie abgefeuert wurde, weiterhin in einwandfreiem Zustand waren. Aber alles andere ging kaputt oder war zweite Wahl, wurde ersetzt oder geschlossen, war nicht verfügbar oder knapp. Die Laune war - wie die Rationen - alles andere als gut. Der böse dreinblickende, schwarze Bär auf dem Wappen unserer stolzen Stadt sah langsam eher wie der typische Berliner aus, der andere Passagiere in der S-Bahn finster anstarrte, einen gleichgültigen Fleischer anfauchte, weil er ihm nur die Hälfte der Ration Speck gab, die ihm laut Lebensmittelkarte zustand, oder der einem Nachbarn im Wohnhaus mit einem Parteibonzen drohte, der ihm schon sagen würde, wo es langging.

Die ungeduldigsten Zeitgenossen fand man wohl in der immer längeren Schlange, in der die Leute für Tabak anstanden. Die Ration war auf vierzig Zigaretten im Monat begrenzt, aber wenn man wirklich so verstiegen war, eine der Zigaretten zu rauchen, war es nicht schwer, zu verstehen, warum Hitler nicht rauchte. Sie schmeckten nach verbranntem Toast. Manchmal rauchten die Leute Tee, wenn sie welchen bekommen konnten, aber sie hätten das Zeug lieber mit kochendem Wasser übergossen und getrunken.

Rings um das Polizeihauptquartier am Alexanderplatz traf uns der...
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Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.