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Wolfshunger

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
544 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am29.08.20141. Auflage
Die Wahrheit in einem Wald voller Lügen Lang und bitterkalt ist der russische Winter des Jahres 1943. Erst im März wird es wärmer. Da wittern die ausgehungerten Wölfe im Wald von Katyn etwas im angetauten Boden: Knochen. Menschliche Gebeine. Goebbels will die Nachricht von einem Kriegsverbrechen der Russen für seine Propaganda nutzen. Die Sache muss jedoch hieb- und stichfest sein. Also schickt er Privatdetektiv Bernie Gunther dorthin, um in dem Fall zu ermitteln. Doch in Smolensk treibt auch die Heeresgruppe Mitte ihr Unwesen. Nicht nur unschuldige Menschen fallen ihr zum Opfer, sondern bald auch die Wahrheit ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie Wahrheit in einem Wald voller Lügen Lang und bitterkalt ist der russische Winter des Jahres 1943. Erst im März wird es wärmer. Da wittern die ausgehungerten Wölfe im Wald von Katyn etwas im angetauten Boden: Knochen. Menschliche Gebeine. Goebbels will die Nachricht von einem Kriegsverbrechen der Russen für seine Propaganda nutzen. Die Sache muss jedoch hieb- und stichfest sein. Also schickt er Privatdetektiv Bernie Gunther dorthin, um in dem Fall zu ermitteln. Doch in Smolensk treibt auch die Heeresgruppe Mitte ihr Unwesen. Nicht nur unschuldige Menschen fallen ihr zum Opfer, sondern bald auch die Wahrheit ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644214712
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum29.08.2014
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.9
Seiten544 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1275 Kbytes
Artikel-Nr.1448366
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil 1


Kapitel 1

Montag, 1. März 1943


Franz Meyer am Kopfende des Tisches stand auf, senkte den Blick, berührte das Tischtuch und wartete auf Stille. Mit den hellen Haaren, den blauen Augen und den klassischen Gesichtszügen, die aussahen, als wären sie von Arno Breker gemeißelt worden, dem bedeutendsten deutschen Bildhauer der Gegenwart und Hitlers erklärtem Liebling, entsprach er auf jeden Fall nicht dem Klischee eines Juden. Die halbe SS und der halbe SD waren äußerlich viel semitischer als er. Meyer holte tief und beinahe euphorisch Luft, grinste breit und verlieh damit seiner Erleichterung und Lebensfreude Ausdruck. Dann hob er sein Glas und prostete den vier Frauen zu, die mit uns rings um den Tisch saßen. Keine von ihnen war Jüdin, und doch sahen sie nach den rassischen Stereotypen, die das Propagandaministerium so gerne verbreitete, mit ihren großen Nasen, dunklen Augen und sogar noch dunkleren Haaren ziemlich jüdisch aus. Einen Moment lang schien Meyer von Gefühlen übermannt zu werden, und als er endlich wieder reden konnte, standen ihm Tränen in den Augen.

«Ich möchte meiner Frau und ihren Schwestern für die Anstrengungen danken, die sie für mich unternommen haben», sagte er. «Was ihr getan habt, erforderte großen Mut, und ich kann euch gar nicht sagen, wie wichtig es für die im Gebäude der ehemaligen Behörde für Wohlfahrtswesen der Jüdischen Gemeinde Untergebrachten war, zu wissen, dass so viele Leute hergekommen sind, um zu demonstrieren.»

«Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie uns nicht auch eingesperrt haben», sagte Meyers Frau Siv.

«Sie sind es eben gewohnt, dass die Leute ihren Befehlen gehorchen», sagte seine Schwägerin Klara. «Darum waren sie völlig überfordert.»

«Morgen gehen wir wieder in die Rosenstraße», beharrte Siv. «Wir werden nicht ruhen, ehe alle anderen dadrin auch freigelassen wurden. Alle zweitausend. Wir haben gezeigt, wie viel wir erreichen können, wenn die öffentliche Meinung mobilisiert wird. Darum müssen wir den hohen Druck aufrechterhalten.»

«Ja», sagte Meyer. «Und das werden wir tun. Bestimmt. Aber nun möchte ich einen Toast ausbringen. Auf unseren neuen Freund Bernie Gunther. Wären er und seine Kollegen bei der Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts nicht gewesen, würde ich wohl immer noch festsitzen. Und wer weiß, was dann mit mir passiert wäre?» Er lächelte. «Auf Bernie.»

Wir saßen zu sechst in dem kleinen, gemütlichen Esszimmer in der Wohnung der Meyers in der Lützowstraße. Als jetzt vier von ihnen aufstanden und mir schweigend zuprosteten, schüttelte ich nur den Kopf. Ich war mir nicht sicher, ob ich Franz Meyers Dank verdient hatte. Außerdem war der Wein, den wir tranken, ein anständiger deutscher Rotwein. Ein Spätburgunder, lange vor dem Krieg gekeltert. Seine Frau und er hätten ihn wohl lieber gegen etwas Essen getauscht, statt ihn an mich zu verschwenden. Wein - vor allem ein ordentlicher deutscher Rotwein - war dieser Tage fast unmöglich zu bekommen in Berlin.

Höflich wartete ich, bis sie auf meine Gesundheit getrunken hatten. Dann stand ich auf, um meinem Gastgeber zu widersprechen. «Ich bin nicht sicher, ob ich behaupten darf, viel Einfluss auf die SS zu haben», erklärte ich. «Ich habe lediglich mit ein paar Polizisten gesprochen, die Ihre Demonstration überwacht haben. Sie haben mir gesagt, dass vermutlich die meisten der bei der Fabrikaktion vom Samstag Inhaftierten schon in wenigen Tagen wieder freigelassen werden.»

«Das ist unglaublich», sagte Klara. «Aber was bedeutet das jetzt, Bernie? Glauben Sie, die Behörden werden wirklich die Deportationen einstellen?»

Ehe ich meine Meinung kundtun konnte, ging die Sirene für den Fliegeralarm los. Wir schauten uns überrascht an; es war fast zwei Jahre her, seit der letzte Fliegerangriff von der Royal Air Force geflogen wurde.

«Wir sollten in den Luftschutzbunker gehen», sagte ich. «Oder wenigstens in den Keller.»

Meyer nickte. «Ja, da haben Sie recht», sagte er fest. «Ihr solltet alle gehen. Falls es kein blinder Alarm ist.»

Ich holte meinen Mantel und den Hut von der Garderobe und wandte mich an Meyer.

«Aber Sie kommen doch wohl mit, oder?», fragte ich ihn.

«Juden ist der Zutritt zu den Bunkern verboten. Vielleicht ist Ihnen das bisher nicht aufgefallen. Gibt ja auch keinen Grund, dass Sie es hätten bemerken können. Ich glaube, seit wir angefangen haben, den gelben Stern zu tragen, gab es keinen Fliegeralarm.»

Ich schüttelte den Kopf. «Nein, das habe ich nicht gewusst.» Ich zuckte mit den Schultern. «Und wo gehen die Juden dann hin?»

«Zum Teufel natürlich. Wenigstens hoffen die darauf.» Dieses Mal war Meyers Lächeln sarkastisch. «Außerdem wissen die Leute, dass das hier die Wohnung eines Juden ist, und da das Gesetz vorschreibt, die Türen und Fenster offen zu lassen, wenn man die Wohnung verlässt, ist das auch gleichzeitig eine Einladung an Diebe, vorbeizuschauen und uns zu bestehlen.» Er schüttelte den Kopf. «Darum bleibe ich lieber hier.»

Ich schaute aus dem Fenster. Auf der Straße unter uns waren bereits Hunderte Leute unterwegs. Wir durften keine Zeit mehr verlieren.

«Wir gehen ohne dich nirgendwohin, Franz», sagte Siv. «Lass einfach deinen Mantel hier. Wenn sie deinen Stern nicht sehen, müssen sie dich für einen Deutschen halten. Du kannst mich ja tragen und sagen, ich wäre ohnmächtig geworden, und wenn ich meinen Pass zeige und sage, ich bin deine Frau, wird niemand nachfragen.»

«Sie hat recht», sagte ich.

«Und wenn ich eingesperrt werde, was dann? Ich wurde gerade erst freigelassen.» Meyer schüttelte den Kopf und lachte. «Außerdem ist es vermutlich ohnehin falscher Alarm. Hat uns der dicke Hermann nicht versprochen, dass Berlin die am besten verteidigte Stadt Europas ist?»

Das schreckliche Heulen draußen ging weiter - eine mechanische Sirene, die das Ende der Nachtschicht an den rauchenden Schloten der Hölle verkündete.

Siv Meyer setzte sich wieder an den Tisch und faltete die Hände. «Wenn du nicht gehst, bleibe ich auch.»

«Ich auch», erklärte Klara und setzte sich neben sie.

«Wir haben keine Zeit für Diskussionen», sagte Meyer. «Ihr solltet gehen. Alle.»

«Er hat recht», drängte ich, denn jetzt konnten wir bereits das Dröhnen der Bomber in der Ferne hören; offensichtlich war es kein Fehlalarm. Ich öffnete die Tür und winkte den vier Frauen, mir zu folgen. «Los jetzt», sagte ich.

«Nein», sagte Siv. «Wir bleiben.»

Die beiden anderen Schwestern schauten sich nur kurz an, ehe sie sich wieder neben ihren jüdischen Schwager setzten. Ich zog den Mantel an und schob die Hände in die Taschen, um zu verbergen, wie sehr sie zitterten. Schließlich hatte ich gesehen, was unsere eigenen Bomber mit Minsk und Teilen Frankreichs angerichtet hatten.

«Ich glaube nicht, dass sie gekommen sind, um Propagandaflugblätter abzuwerfen», bemerkte ich. «Diesmal nicht.»

«Stimmt, aber sie sind auf keinen Fall hinter Zivilisten wie uns her», sagte Siv. «Sie werden das Regierungsviertel ansteuern. Sie wissen doch von dem Krankenhaus hier in der Nähe, und die RAF wird bestimmt nicht riskieren, das Katholische Krankenhaus zu treffen, oder? So sind die Engländer nicht. Sie sind hinter denen in der Wilhelmstraße her.»

«Wie sollen sie aus siebenhundert Metern Höhe wissen, wo die ist?», hörte ich mich widersprechen.

«Sie hat recht», sagte Meyer. «Nicht der Westen der Stadt ist ihr Ziel. Sie wollen in den Osten. Was bedeutet, dass es ganz gut ist, dass heute Nacht keiner von uns in der Rosenstraße ist.» Er lächelte mich an. «Sie sollten gehen, Bernie. Wir kommen schon zurecht, Sie werden sehen.»

«Ich vermute, Sie haben recht», sagte ich und beschloss, wie die anderen den Fliegeralarm zu ignorieren. Ich zog meinen Mantel aus. «Jedenfalls kann ich Sie hier nicht alleine lassen.»

«Warum nicht?», fragte Klara.

Ich zuckte mit den Schultern. Letzten Endes war es natürlich so: Ich konnte mich kaum aus dem Staub machen und dennoch weiterhin in den hübschen braunen Augen Klaras gut aussehen, was mir ziemlich wichtig war. Aber ich hatte nicht das Gefühl, ihr das jetzt sagen zu können. Noch nicht.

Einen Moment lang spürte ich, wie meine Brust sich schmerzhaft zusammenzog, weil meine Angst mich nach wie vor fest im Griff hatte. Dann hörte ich Bomben detonieren und atmete auf. Wenn man damals, während des Ersten Weltkriegs, vom Schützengraben aus die Granaten explodieren hörte, bedeutete das meistens, dass man in Sicherheit war. Man sagte nämlich, dass man die nicht hört, die einen tötet.

«Klingt eher, als würde der Norden von Berlin das meiste abkriegen», sagte ich und lehnte mich an den Türrahmen. «Die Raffinerie in der Thaler Straße, nehme ich an. Das ist dort das einzige lohnenswerte Ziel. Aber ich finde, wir sollten uns zumindest unter den Tisch hocken. Nur für den Fall, dass eine verirrte Bombe ...»

Ich glaube, das war das Letzte, was ich sagte, und vermutlich verdanke ich dem Umstand mein Leben, dass ich im Türrahmen stand. Denn in diesem Augenblick schien das Fensterglas zu tausend Tropfen aus Licht zu zerschmelzen. Einige der alten Wohnhäuser in Berlin waren für die Ewigkeit geschaffen, und ich erfuhr später, dass die Bombe, die das Haus in die Luft jagte, in dem wir waren - nicht zu vergessen auch das Krankenhaus in der Lützowstraße -, mich auf jeden Fall getötet hätte, wenn ich nicht den Türsturz über meinem Kopf...

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Autor

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.