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Das Engelhaus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am09.07.2013Auflage
'Das Engelhaus' ist das Haus, in dem Tora Otter, dem Leser schon aus 'Hexenringe' und 'Springquelle' bekannt, vom Beginn der dreißiger Jahre an bis in die ersten Nachkriegsjahre wohnt. Tora Otter kämpft inzwischen mit dem Herannahen des Alters. Schwer kann sie sich an den Gedanken gewöhnen, daß ihr Körper, der ihr bisher nur selbstverständliches Arbeitsgerät und Fortbewegungsmittel war, zunehmend schwächer wird. In ihrer schlaflosen Einsamkeit kriecht sie die Angst vor dem Tode an, und sie beginnt, ihr bisheriges Leben kritisch zu überdenken. Tora Otter und das 'Engelhaus' spielen auch für die heranwachsende Ingrid, die Tochter von Toras Freundin, eine große Rolle. Sie träumt bereits in ihrer Jugend von einem Leben frei von den Sorgen des Alltags. Bald aber, als sie schwanger wird, einen Sohn gebärt und das ganz normale Familienleben einer Erwachsenen führt, muß sie feststellen, daß sie nicht die Kraft hatte, ihre Träume wahr werden zu lassen. Auch Jenny Otter, Toras Schwiegertochter, fühlt sich in ihrer Ehe nicht wohl. Schwer liegt auf ihr die ganze Verantwortung für die Versorgung der Familie. Aus Sehnsucht nach dem 'wirklichen Leben' beginnt sie ein Verhältnis mit einem jüdischen Flüchtling aus Ungarn...

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
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Produkt

Klappentext'Das Engelhaus' ist das Haus, in dem Tora Otter, dem Leser schon aus 'Hexenringe' und 'Springquelle' bekannt, vom Beginn der dreißiger Jahre an bis in die ersten Nachkriegsjahre wohnt. Tora Otter kämpft inzwischen mit dem Herannahen des Alters. Schwer kann sie sich an den Gedanken gewöhnen, daß ihr Körper, der ihr bisher nur selbstverständliches Arbeitsgerät und Fortbewegungsmittel war, zunehmend schwächer wird. In ihrer schlaflosen Einsamkeit kriecht sie die Angst vor dem Tode an, und sie beginnt, ihr bisheriges Leben kritisch zu überdenken. Tora Otter und das 'Engelhaus' spielen auch für die heranwachsende Ingrid, die Tochter von Toras Freundin, eine große Rolle. Sie träumt bereits in ihrer Jugend von einem Leben frei von den Sorgen des Alltags. Bald aber, als sie schwanger wird, einen Sohn gebärt und das ganz normale Familienleben einer Erwachsenen führt, muß sie feststellen, daß sie nicht die Kraft hatte, ihre Träume wahr werden zu lassen. Auch Jenny Otter, Toras Schwiegertochter, fühlt sich in ihrer Ehe nicht wohl. Schwer liegt auf ihr die ganze Verantwortung für die Versorgung der Familie. Aus Sehnsucht nach dem 'wirklichen Leben' beginnt sie ein Verhältnis mit einem jüdischen Flüchtling aus Ungarn...

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492957588
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum09.07.2013
AuflageAuflage
Reihen-Nr.03
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2906 Kbytes
Artikel-Nr.1288619
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Gegenüber der Genossenschaft, an der windigen Ecke der Landsvägsgata und der Industrigata, standen eine Linde und ein altes Holzhaus. Da stand, will man genau sein, auch ein Kiosk. Die Linde und das Haus pflegten sich miteinander zu unterhalten. Zwischen den Worten verging jedoch viel Zeit.

Die großen Häuser haben ihre eigene, langsame Zeitrechnung und vertragen sich mit den Bäumen deshalb relativ gut. An Menschen haben sie dagegen nicht viel Freude. Und aus dem Kiosk schlau zu werden war auch schwierig. Der war nicht dafür gebaut, dort länger als ein paar Jahrzehnte zu stehen, und gehetzt hechelte er alles heraus, was er zu sagen hatte, wie ein Hund oder ein Radioreporter. Leute erschossen sich, stürzten mit Maschinen vom Himmel und verwursteten Pferde. All dem vermochte das Haus nicht zu folgen, und die Linde auch nicht. Der Kiosk war achteckig, bucklig, und seine Nase glich einem Schnabel. Er war grün gestrichen, und das spitze Dach hatte einen Belag aus körniger Teerpappe. Er war leicht reizbar und geschwätzig, keine rechte Gesellschaft für eine Linde und ein verziertes Haus aus dem letzten Jahrhundert.

Das alte Haus selbst fand nicht, daß es sonderlich bedächtig sei, denn es verglich sich gern mit erdverbundenen Steinen. Wie langsam Steine rufen und sprechen, ist ja bekannt. Zuerst muß sich tief in ihrem Inneren eine Verdichtung bilden. Dann folgt ein langsames Heben, und zum Schluß rufen sie, und das geschieht in einer anderen Zeit. Es ist ganz einfach nicht faßbar. Doch rufen tun sie. Selbst im Sockel des alten Hauses, wo die Katzen aus und ein schlichen, riefen die Steine.

Eine Straßenlaterne schien so weit im Innern in der Krone der Linde, daß das Licht auf dem Kioskdach gefleckt wurde. Die Lichtsprenkel bewegten sich zuckend über die schwarze Pappe, deren Teertropfen aufglänzten. Dann wurde es fast eine Stunde lang ruhig, kein Wind bewegte die Blätter, und das Muster blieb unverändert. Das alte Haus räusperte sich, und schließlich sprach es. Das war am Samstagabend. Am Montag spät morgens, nachdem viele Lichtsprenkel, Kelchblätter und Wogen feuchter Nebel über das Kioskdach hinweggetanzt waren, war der Satz vollendet.

Im Inneren der Linde heulte es vielleicht vor Ungeduld. Unter der Erde aber waren ihre Wurzeln um den Steinsockel des Hauses geschlungen, so, wie die Wurzeln eines kräftigen Bakkenzahnes einen Kieferknochen umfangen, weshalb sie aus guten Gründen glaubte, daß sie zusammen stehen oder fallen würden, am liebsten natürlich stehen, und zwar für ewige Zeiten. Deshalb beherrschte sie sich und antwortete, ehe die letzten kalten Nächte des Spätsommers zur Neige gegangen waren.

Die Linde schüttelte sich in einem Windhauch und ließ einen Regen hellgrüner Blüten auf das Kioskdach niedergehen. Das alte Haus fürchtete dieses Geräusch, glaubte, daß es sich um einen Blutsturz handelte. Das kannte es nämlich. Nicht alle Zeiten eigneten sich gleichermaßen für ein Gespräch. Im Hochwinter, wenn die Linde scheinbar ruhte, gingen in den Knospen und Blütenanlagen so bedeutungsvolle Dinge vor sich, daß die Linde nicht zu antworten vermochte. Und der Knospenaustrieb war eine verzwickte Arbeit, die damit begann, daß der Saft in den haarfeinen Gefäßen stieg und alles, was wächsern und trocken gewesen war, anschwellen und sich aufrichten ließ. Tat das weh? Eigentlich nicht. Aber es war ungeheuer mühevoll, und sie mußte konzentriert sein, wenn sie assimilierte. Es war sehr ungeschickt von dem Haus, gerade diesen Moment zu wählen, um mit einer Ausführung zu beginnen, die in der ersten Juliwoche beendet war, als der Sommerwind in der Krone der Linde großes, grünes Laub bewegte.

Die Linde war lebendes Holz. Das Haus war ebenfalls Holz und nicht wirklich tot. Nein, man kann vom Holz nicht behaupten, daß es so leicht stirbt; es macht Wandlungen durch. Auch das Haus reckte sich noch, schwoll an, ächzte in der Kälte der Winternächte, zog sich zusammen und schuf Risse, durch die Wanzen und Silberfische schlüpften.

Das Haus war ja vor allem eine Wohnstätte oder eine Anhäufung von Wohnungen, Bauen und Höhlen. Es barg viele Bewußtheiten in sich, mehrere Gesellschaften, zufällige und aufgezwungene Gemeinschaften und tiefe Zusammengehörigkeit: Die Katzen schlichen beim Steinsockel aus und ein, und in den Hausfluren schlabberten sie so stürmisch Milch, daß die angeschlagenen Untertassen gegen den Fußboden klapperten. Außer Katzen gab es Feldspatzen, Menschen, Hausspatzen und Läuse, Kakerlaken, Ratten und kleine Mäuse, Hunde und ihre Flöhe, Spinnen, Fliegen, Ameisen, Springwürmer, Mehlkäfer, Spinnmilben und Nachtfalter und Blattläuse auf den Balsaminen: Hausböcke knabberten sich in das Fleisch des Hauses, und unter den Balken auf dem Dachboden hingen in langen Reihen Fledermäuse, hingen mit den Köpfen nach unten, ihre kleinen, mit Klauen versehenen Hände fest geschlossen.

Die Linde beherbergte nur Zufallsgäste, denn sie war ein Fremdling an der Straßenecke. Ihre Besucher kamen als Sendboten mit anderen Gerüchen als denen der Landsvägsgata und der holprigen Industrigata, die bei der Gießerei begann und in einer Emballagefabrik endete. Die Linde stand ja an einer graubraunen, gepflasterten, duftlosen Kreuzung, die an allen Ecken vor Trostlosigkeit heulte. Sie trug eine Mütze aus wattigem Himmel, und rings um sie herum ragten Kulissen aus Undurchdringlichkeit, aus Beton, aus behauenem Stein und Maschendraht, Putz. Schilfrohr, Ziegel und arsenikgetränktem Holz auf. Sie versuchte, die Winde einzufangen, es stieg ihr jedoch ein Geruch von Müll zwischen die Äste, süß und dumpf, und von verbrannten Gummireifen, von Öl, Kellermief und Mundgeruch, von alten Schuhen und vom Humus des Kirchhofs, wo man eben erst ein Grab ausgehoben hatte. Sie konnte aber auch, wenn die Windrichtung günstig war, einen Duft von Reseda erhaschen.

Der Morgen brach zuweilen mit dem Dunst frisch gewässerter Mistbeete an, der guten Kohlensäuredüngung, die der Linde mit einem launischen Windstoß zu Nutzen und Nahrung werden konnte. Sie wurde von Hummeln mit fremdem Staub an den runden, pelzigen Körpern gestreift: Blütenstaub von Glaskirschen, Graf Moltke und Säfstaholm. Unterdes konnte man das steife Rascheln der einzigen Blutbuche in der Stadt belauschen und das Knacken, wenn die Roßkastanien unterhalb der Landsvägsbrücke ihre stachligen Kugeln öffneten und feuchte, braune Nüsse, die niemand berührt und niemand gesehen hatte, herabfallen ließen. Manchmal wurde sie von einem Wind geschüttelt, der vielen Anemonen die Kronblätter entrissen hatte.

Als das Haus gebaut worden war, hatte es eine prächtige Fassade. Da waren Fahnenstangen auf dem Dachfirst und zwei Vortreppen an der Längsseite zur Industrigata hin, Wetterfahnen mit Jahreszahl, kunstvoll wie Schuppen gelegte Holzschindeln an den Giebeln und verzierte Geländer an den Vortreppen. Es hatte komplizierte Spenglerarbeiten und viele Schornsteine. Zur Einweihung wurde die Linde gepflanzt, und die Festreden knatterten wie Wimpel in starkem Wind.

Es war jedoch ein schlechter Bau, ein Bau mit eingebautem Ungeziefer. Man hatte für die Ausstattung einiger Küchen und Wohnküchen Abbruchholz hergenommen. Es war fußkalt und zog in den Ecken, denn es gab keine richtigen Zwischenböden. Die Füllung in den Wänden rutschte mit der Zeit nach unten, und die Kinder konnten nicht daneben schlafen, denn da bekamen sie Ohrzwang. Aber trotzdem war das hier kein elendes Armenquartier, nein, weit davon entfernt! Hier wohnten die ordentlichen der Arbeiter der Schreinereifabrik, wie es die Redner bei der Einweihung mit den unbearbeitetsten Worten der Sprache, wie Rechtschaffenheit und Ehre und guter Arbeitswille ohne Klassenegoismus, ausgeschmückt und garniert hatten. Sie waren Petrus Wilhelmsons Augensterne und, soweit er das kontrollieren konnte, völlig abstinent. In den Vorratsschränken auf den Fluren mangelte es hier nicht an Essen. Man hielt zusammen Schweine und verfügte über Kartoffeläcker und gute Stuben, diese heiligen, ergreifenden guten Stuben mit ihrem Duft nach Mottenkugeln und schrumpligen Äpfeln in einer Schale, wo sich die Porzellanblume im Dunkeln und Kühlen wand und die Kerzen unangezündet dastanden, bis der Sommer kam und sie sich in der Hitze krümmten. Ja, diese guten Stuben waren eine Versicherung dafür, daß der Kern des Daseins Seligkeit und Feinheit, nicht Knitter und Qualm und blutende Wunden ist.

Das Haus, das nie eine Jugend gehabt hatte, sondern im schilferigen Mannesalter in die Welt und an die Straßenkreuzung hinausgeschmettert worden war, verfiel bald. Es hustete Rauch und ächzte und wimmerte in den Herbststürmen. Dachluken wurden losgerissen, und der Holzschuppen bekam Rachitis.

Doch genau so sollte es sein, denn nun verrottete das alte Schweden hinter seinen Verzierungen und Fassaden. Nun kamen Männer mit steifen Hüten heraus, die schiefen Türen knallten zu. Frisch und beherzt ging es her. Die Welt sollte völlig neu werden. Es roch nicht nach Branntwein, sondern nach Hektografentinte. Der alte Egoismus und Individualismus wurde mit Füßen getreten, daß es krachte und rumste, und er blieb liegen, ein Bündel in einer Ecke (aber ein Bündel, das sich regte), und die Streikbrecher bezogen Prügel.

In den Flurschränken mit den in die Tür gebohrten Luftlöchern aber war nichts mehr zu essen. und die Kinder hatten Magenschmerzen vor Hunger. Die Männer mußten an die Arbeit zurückkehren.

Dann kam der Krieg, und hinterher gab es kaum Arbeit und Wohnungen, weswegen man froh sein müsse, wenn man ein Dach über dem Kopf habe, sagte David Eriksson, der damals dorthin zog. Er war in Stockholm gewesen und hatte sich nach Arbeit umgesehen, und dort wohnten die Leute sogar in der Turnhalle der Polizei in Verschlägen. Da hatten sie...
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