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Tod einer Verrückten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am27.08.20141. Auflage
Warum sollte jemand Clementina ermorden, jene liebenswerte Verrückte, die jeder kennt im Florentiner Stadtviertel San Frediano? Wie sie in ihrem abgetragenen Kleid immer vor der Bar mit dem Besen herumfuhrwerkte - das war ein allen vertrautes Bild. Erst als Clementina tot ist, wird klar, wie wenig man eigentlich von ihr weiß.

Magdalen Nabb, geboren 1947 in Church, einem Dorf in Lancashire, England, gestorben 2007 in Florenz. Sie studierte an der Kunsthochschule in Manchester und begann dort zu schreiben. Von 1975 an lebte und arbeitete sie als Journalistin und Schriftstellerin in Florenz.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWarum sollte jemand Clementina ermorden, jene liebenswerte Verrückte, die jeder kennt im Florentiner Stadtviertel San Frediano? Wie sie in ihrem abgetragenen Kleid immer vor der Bar mit dem Besen herumfuhrwerkte - das war ein allen vertrautes Bild. Erst als Clementina tot ist, wird klar, wie wenig man eigentlich von ihr weiß.

Magdalen Nabb, geboren 1947 in Church, einem Dorf in Lancashire, England, gestorben 2007 in Florenz. Sie studierte an der Kunsthochschule in Manchester und begann dort zu schreiben. Von 1975 an lebte und arbeitete sie als Journalistin und Schriftstellerin in Florenz.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257605983
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum27.08.2014
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.6
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1517 Kbytes
Artikel-Nr.1479816
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
[36] 2

Die Szene der vergangenen Woche wiederholte sich, mit denselben Personen, der gleichen Ansammlung von Menschen, die sich unter den Fenstern des Eckhauses eingefunden hatten und hinaufschauten, und dem Maresciallo, der sich den Weg zur Haustür bahnte. Allerdings gab es winzige Unterschiede. Das Licht bei Sonnenuntergang war gedämpfter, und dasselbe galt für den Lärm, den die Leute machten. Außerdem war er diesmal in Uniform, so daß sich die Menge teilte, um ihn durchzulassen. Als er zum Fenster der verrückten Frau hinaufsah, erblickte er anstelle des plumpen, nackten Körpers einen dünnen Mann in weißem Hemd. Über das laute Gemurmel hinweg rief eine heisere Frauenstimme: »Pippo! Mach auf, der Maresciallo ist da.«

Der Mann im weißen Hemd schaute kurz hinunter und verschwand dann. Der Maresciallo ging eilig auf die Haustür zu, die mit einem Klicken aufging, sobald er sie erreichte. Die Treppen waren sehr steil und düster, beleuchtet nur von einer schwachen, nackten Glühbirne auf jedem Treppenabsatz. Eine hübsche, pausbackige junge Frau stand in der Tür zu der Wohnung im ersten Stock, aus der warmes Licht und verlockende Essensgerüche drangen. Obwohl sie sich zurückzog, als sie den Maresciallo sah, hörte [37]er sie, während sich die Tür schloß, noch leise »Guten Abend« murmeln.

Er nickte nur zu der geschlossenen Tür hin, da er seinen ganzen Atem benötigte, um, den Hut in der Hand, mühsam die Treppen hinaufzustapfen.

Pippo, der dünne Mann im weißen Hemd, erwartete ihn auf dem obersten Treppenabsatz. Noch bevor der Maresciallo ihn erreicht hatte, überfiel er ihn: »Das war Franco, der Sie angerufen hat. Ich dachte, ich bleibe lieber hier bei ihr.«

Er war schlaksig und hatte eine große Nase und graue Augen, die unruhig hin und her flitzten und denen nichts entging.

Der Maresciallo, ganz außer Atem, ging nicht darauf ein, folgte ihm aber durch die abblätternde schwarze Tür in die schäbige kleine Wohnung.

»Sie ist da drin.«

In der Küche war kaum genug Platz für den altmodischen Ausguß, einen uralten Gasherd und einen kleinen Tisch mit einer Plastikdecke. Das Fenster, nicht größer als dreißig Zentimeter im Quadrat, stand weit offen, so daß man auf das Durcheinander roter Ziegeldächer vor der untergehenden Sonne hinausblickte, und vor der schmalen Nische links neben dem Herd hing ein fadenscheiniger geblümter Vorhang. All das registrierte der Maresciallo, ohne den Raum zu betreten, da ihm der Weg durch den Körper versperrt war, der unmittelbar hinter der Tür lag. Nach ein paar Sekunden stieg er darüber, um hineinzugelangen. Pippo blieb draußen vor der Tür.

»Wer hat ihr das draufgelegt? Sie?« Der Kopf war mit [38]einem ausgewaschenen Geschirrtuch bedeckt, so daß nur ein Büschel grauer Haare zu sehen war.

»Was anderes konnte ich nicht finden.«

Der Maresciallo zog das Tuch weg und betrachtete das Gesicht, das nach oben gewandt war, als wollte es zu ihm aufschauen. Die Augen standen leicht offen, der Mund war nach einer Seite verzogen, und auf der Backe hatte die Frau einen dunklen Fleck. Er runzelte die Stirn und beugte sich über die Leiche. Sie lag auf der Seite, halb bedeckt von der geblümten Kittelschürze, vorn entblößt, und nun bemerkte er, daß sie deshalb offen war, weil sämtliche Knöpfe fehlten. Er mußte an die plumpe, nackte Gestalt denken, sprühend vor Leben und bebend vor Zorn, die ihren Nachbarn wild mit der dicken kleinen Faust gedroht hatte. Jetzt waren die fetten Arme seltsam nach hinten ausgestreckt, als hätte sie damit ihre Schürze zurückgestreift. Die Knie waren abgewinkelt und wiesen Flecken in demselben Weinrot auf wie die rechte Wange. Auf den schlaffen Brüsten befand sich jeweils ein ähnlicher Fleck.

Der Maresciallo richtete sich auf und strich sich seufzend mit seiner großen Hand übers Gesicht. Draußen auf der Straße verstummte eine heulende Sirene.

»Wo haben Sie sie gefunden?«

»Ich hoffe, ich habe nichts falsch gemacht ...« Es läutete an der Tür. »Das sind die von der Misericordia ...«

»Schon gut. Lassen Sie sie rein.«

Pippo drückte auf den Türöffner neben der Wohnungstür und kam wieder zurück.

»Also, wo haben Sie sie gefunden? Sie hat doch nicht hier gelegen.«

[39]»Sie hätte ja noch am Leben sein können. Woher sollte ich das wissen?«

»Wo war sie?«

»Mit dem Kopf im Gasherd. Das habe ich ...«

»Im Gasherd?«

Hinter Pippo tauchten vier schwarzgekleidete Männer von der. Misericordia auf.

»Können Sie noch einen Augenblick warten?« Der Maresciallo warf einen Blick auf den Herd und das offene Fenster, wandte sich dann um und betrachtete noch einmal die rotweinfarbenen Flecken auf der bleichen Haut. Dann machte er den wartenden Männern ein Zeichen. Als sie verschwunden waren, sagte er zu Pippo: »Kommen Sie lieber herein.« Und als er merkte, daß es dem Mann widerstrebte, über das emporgewandte Gesicht zu steigen, breitete er das Geschirrtuch darüber.

»Ich möchte nicht gern ... Zuvor war es was anderes, wissen Sie, da hab ich gedacht, vielleicht lebt sie ja noch.«

»Setzen Sie sich.« Es gab nur einen wackeligen Plastikstuhl. »Bestimmt geht es Ihnen gleich besser.«

Pippo war so bleich, daß der Maresciallo befürchtete, er könnte umkippen oder sich übergeben. »Möchten Sie ein Glas Wasser?«

»Nein, nein, nichts. Allein die Vorstellung ...« Als wäre alles in diesem Raum vom Tod verseucht.

»Erzählen Sie mir, was passiert ist, von Anfang an.«

»Ich wäre gar nicht raufgegangen, das kann ich Ihnen versichern, wenn Franco nicht gesagt hätte ...«

»Lassen Sie Franco jetzt erst mal beiseite.« Anscheinend war der Barbesitzer in diesem Bezirk so eine Art [40]Stammeshäuptling, der alle Entscheidungen traf. »Erzählen Sie mir so einfach wie möglich die Tatsachen in der Reihenfolge, in der sie sich ereignet haben. Niemand behauptet, daß Sie was falsch gemacht haben. Ich muß genau wissen, wie sich alles abgespielt hat.«

Dabei wußte niemand besser als der Maresciallo, daß genau das unmöglich war, weil einem nie jemand die ganze Wahrheit erzählte.

»Wenn heute kein Feiertag gewesen wäre, hätte irgend jemand früher was gemerkt, aber viele Leute waren über Mittag außer Haus, zu Besuch bei Verwandten und was weiß ich wo, und Franco hat heute vormittag auch nur für ein oder zwei Stunden aufgemacht, sonst ...«

Der Maresciallo hockte sich auf die Tischkante und konnte nur hoffen, daß sie sein Gewicht aushielt. Das würde bestimmt eine längere Unterredung werden, und offensichtlich war es zwecklos zu versuchen, diesen Mann dazu zu bewegen, sich an die Tatsachen zu halten, wie denn Unterbrechungen in aller Regel dazu führen, daß die Leute noch weiter vom Thema abschweifen, da sie stets darauf bedacht sind, sich zu rechtfertigen, statt knapp und präzise zu berichten, was geschehen ist.

»Jedenfalls hat sich niemand was dabei gedacht. Nachdem die Läden geschlossen waren und auf dem Platz nichts los war, fand niemand was dabei, daß sie sich den ganzen Tag nicht hat blicken lassen, weil sie immer erst gegen Abend mit ihrer Putzerei anfängt. Da überkommt es sie eben. Sie ...« Er warf einen Blick auf die Leiche. »Schon eine komische Geschichte, da gibt´s nichts. Ist mir gar nicht wohl dabei, wenn ich ehrlich sein soll. Wo war ich gleich wieder?«

[41]»Sie hat sich den ganzen Tag nicht blicken lassen.«

»Nein, tja ... Wir waren zufällig auch nicht da, bei meiner Schwägerin. So gegen sieben sind wir zurückgekommen. Das erste, woran meine Frau gedacht hat, als wir heimkamen, war Clementinas Abendessen.«

»Clementina? Ist das ...?«

»Ja, Clementina! Von der reden wir doch, oder?«

»Tut mir leid, ich hatte ihren Namen vergessen. Erzählen Sie weiter.«

»Wir geben ihr immer ein bißchen was zu essen - nicht daß wir die einzigen wären. Wir tun hier alle unseren Teil. Ich will nicht behaupten, daß wir lauter Tugendbolde sind. Bei uns geht es manchmal ziemlich rauh zu, Sie wissen schon, was ich meine, aber wir kümmern uns um unsere Nachbarn, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß meine Frau mehr tut als die meisten, und ich habe sie nie daran gehindert.«

Er redete und redete, bis der Maresciallo am liebsten die ganze Familie auf der Stelle heiliggesprochen hätte, wenn sein Gegenüber nur zur Sache gekommen wäre. Und während Pippo redete, waren seine Augen die ganze Zeit auf den Tisch oder auf seine Hände geheftet, und nur hin und wieder warf er dem Maresciallo einen scharfen Blick zu, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen, um festzustellen, wie dieser alles aufnahm.

Das Gesicht des Maresciallo war, wie üblich, ausdruckslos. Seine großen, leicht vorstehenden Augen übersahen nichts und verrieten auch nichts.

»Ein bißchen Minestrone und Brot - sie kauft sich jeden Tag ein Stückchen Brot, aber wenn ein Feiertag bevorsteht [42]und man gleich für zwei Tage Brot einkaufen müßte, steht sie am Ende immer ohne da. Nicht daß es viel wäre, ein bißchen Suppe und Brot - obwohl diesmal auch ein Pfirsich im Korb war, jetzt fällt es mir wieder ein, daß meine Frau das gesagt hat -, aber ältere Leute mögen kein schweres Essen. Also jedenfalls, als alles fertig war, hat meine Frau vom Fenster aus hinübergerufen, aber es kam keine Antwort.«

Der erste Lichtblick. Das Problem bei Leuten, die etwas zu verbergen haben, ist,...
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Autor

Magdalen Nabb, geboren 1947 in Church, einem Dorf in Lancashire, England, gestorben 2007 in Florenz. Sie studierte an der Kunsthochschule in Manchester und begann dort zu schreiben. Von 1975 an lebte und arbeitete sie als Journalistin und Schriftstellerin in Florenz.